Die Erben der Nacht - Pyras
noch, sie werde den Fortschritt am anderen Abend kontrollieren, dann war sie verschwunden.
Luciano rekelte sich. »Feierabend! Ich würde jetzt gern mit ihr gehen und mir eine ordentliche Blutportion besorgen.«
»Wo denn? Draußen bei den Abdeckern in Montfaucon?«, fragte Alisa.
Luciano leckte sich die Lippen. »Warum nicht?«
»Erstens weil das ziemlich weit ist - im Nordosten der Stadt, jenseits der Seine«, mischte sich Joanne ein, die seine Worte gehört hatte. »Und zweitens gibt es dort keine Abdecker mehr, genauso wenig wie die Voirie und die meisten Gipshöhlen. Sie wurden alle gesprengt. Die Abtrittgruben sind heute weiter im Norden im Wald von Bondy. Die Reste der gesprengten Voirie und der Gipshöhlen hat Baron Haussmann zu einem Park umbauen lassen, mit Seen, Grotten, Wasserfällen und Bergspitzen. Die Pariser lieben ihn!«
»Dann halt nicht«, gab Luciano resignierend auf. »Was machen wir dann?«, fragte er, nachdem sich Joanne abgewandt hatte.
»Ich finde, wir sollten den Pyras bei ihrer Suche nach ihrem verschwundenen Clanführer ein wenig unter die Arme greifen«, sagte Franz Leopold, und nichts deutete darauf hin, dass er dies im Scherz sagte.
Alisa sah die Aussichtslosigkeit eines solchen Unternehmens und auch den Ärger, den es mit sich bringen würde, dennoch siegte die Abenteuerlust.
»Du kommst doch mit, Ivy, oder?«, drängte sie. »Ich meine natürlich, du und Seymour«, verbesserte sie sich hastig, als sie den Blick des Wolfes bemerkte. Er schien dadurch allerdings nicht besänftigt.
Ivy lächelte ein wenig schief. »Wie kann ich euch alleine in euer Verderben laufen lassen? Wenn wir euch nicht abhalten können, dann begleiten wir euch.«
»Uns von unserem Vorhaben abhalten?«, rief Franz Leopold und machte ein kriegerisches Gesicht. »Versuche es nur!«
Ivy wehrte mit einem milden Lächeln ab. »Nein danke. Womöglich riskiere ich, gebissen oder in einen Sarg gesperrt zu werden. Nein, wenden wir uns besser der Vorbereitung dieses Unternehmens zu. Was brauchen wir, damit es gelingt?«
Luciano hob ungeduldig die Schultern. »Was sollten wir dafür brauchen? Wir sehen und hören uns um, suchen Spuren. Das ist alles.«
»Wollt ihr eine Lampe mitnehmen oder die Ratten?«, fuhr Ivy fort. »Ich könnte auch ein paar Fledermäuse rufen.«
»Fledermäuse!«, entschieden Alisa und Franz Leopold gleichzeitig. »Das ist einfacher als Ratten.«
»Noch«, meinte Alisa zuversichtlich. »In ein paar Nächten kann das schon ganz anders aussehen. Allerdings liebe ich das Echobild, das die Fledermäuse uns vermitteln. Die Ratten können einfach kein so detailliertes Bild der Umgebung liefern …«
Luciano war es egal. »Hauptsache, ich laufe nicht gegen irgendwelche Pfeiler.«
»… solange Ivy dich führt«, ergänzte Franz Leopold missmutig.
Ivy sagte nichts. Sie forschte bereits nach Fledermäusen in den Gängen und rief sie zu sich. »Leider nur zwei. Vielleicht finden wir unterwegs noch welche.« Sobald die Tiere nahe genug waren, übergab sie ihre Führung Alisa und Franz Leopold. Sie selbst lockte ein paar Ratten an, überprüfte vorher aber sorgfältig, ob sie einem der
Pyras gehörten. Nicht dass sie noch mehr Ärger heraufbeschworen, als sie eh schon bekommen würden.
»Brauchen wir sonst noch etwas?«
Die anderen sahen sie nur ungeduldig an, als eine Stimme neben ihnen erklang. »Ich würde sagen, das hier!«
Es war wieder Joanne und sie ließ ihren Bund an Schlüsseln, N adeln und Haken an einem Lederband hin und her schwingen. »Ohne die kommt ihr nicht weit. Alle Gitter und Türen sind verschlossen.«
»Nicht alle«, widersprach Franz Leopold. »Haben die Ratten nicht einen Zugang offen vorgefunden?«
Joanne nickte. »Ja, es kommt immer mal wieder vor, dass die Menschen ein Schloss sprengen - Diebe auf der Flucht vor den Gendarmen, Schmuggler auf der Suche nach neuen Wegen in die Stadt, ja auch Kinder der Straße, die sich für die Nacht lieber in einem der Abwasserkanäle oder den verlassenen Steinbruchhöhlen einrichten, statt unter freiem Himmel Regen und Schnee ausgesetzt zu sein.«
»Versperrt ihr ihnen dann den Zugang wieder?«, fragte Franz Leopold interessiert.
Joanne schüttelte den Kopf. »Meist sind es die Gendarmen. Es gibt spezielle Untergrundpatrouillen und Inspekteure, die auf alles Jagd machen, was ihrer Gesellschaft dort oben ein Dorn im Auge ist.«
»Vampire zum Beispiel?«, vermutete Luciano.
Joanne tat ein wenig beleidigt. »Natürlich nicht!
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