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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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unter der Oper gejagt, gefangen aber haben sie einen Vampir, und der ist sicher nicht der Einzige, der in Paris sein Unwesen treibt. Erkundigen Sie sich! Gehen Sie zu den Ärzten, in die Krankenhäuser oder zu Ihrem Gesundheitsinspekteur und fragen Sie nach seltsamen Fällen von Blutarmut und Gedächtnisverlust. Fragen Sie die Kriminalpolizei nach ungeklärten Morden, nach bleichen, blutleeren Leichen mit Bisswunden am Hals. Ich sage Ihnen, Sie werden fündig werden, mehr als Ihnen lieb ist!«
    Die beiden Männer schwiegen. Carmelo wusste, er musste dem Direktor Zeit geben, sich des Ausmaßes der Bedrohung bewusst zu werden, die von einer solchen Horde nächtlich herumschleichender, blutsaugender Bestien ausging, ehe er ihm seine Hilfe bei der Bekämpfung anbot und sein Honorar für diesen Akt der Güte nannte. Die Stille dehnte sich.
    »Was können wir tun? Wir wissen ja gar nicht, ob es noch mehr von seiner Art gibt.«
    Aha, er wollte sich drücken, sich in Sicherheit wiegen, weil die eine Bestie nun in seiner Hand war und keinen Schaden mehr anrichten konnte.
    »Erkundigen Sie sich«, sagte Carmelo wieder. »Dann werden wir noch einmal miteinander sprechen. Rufen Sie alle zusammen, die in diesem Fall mitreden wollen und müssen, dann können Sie gemeinsam entscheiden.« Er hob den Hut und deutete eine Verbeugung an.
    »Wie kann ich Sie erreichen?«, fragte der Direktor.
    »Ich werde Sie erreichen«, gab Carmelo zurück. »In zwei Tagen komme ich wieder, kurz vor Sonnenuntergang. Dann sollten Sie alle versammelt haben. Oder Sie sagen mir, dass Sie nicht interessiert
sind.« Er tippte noch einmal an seinen Hut. »Und nun wünsche ich eine Gute Nacht, Monsieur le Directeur.«
    Mit beschwingten Schritten verließ Carmelo den Jardin des Plantes, dessen große Tore für die Nacht längst geschlossen waren.

    Am Abend machten sich Clanführer Lucien und seine Getreuen samt ihren Ratten wieder auf die Suche nach dem verschollenen Seigneur. Die Erben blieben unter der Aufsicht weniger Servienten zurück und übten in den ersten Stunden noch einmal den Umgang mit ihren zukünftigen Helfern. Das Schwierigste war nach wie vor, sie unter Kontrolle zu halten, ohne sich wirklich auf jede Einzelne zu konzentrieren. Die Kontrolle musste im Untergrund des Geistes nebenher weiterlaufen, ohne dabei die Beschäftigung mit einer anderen Sache zu stören. Keinen wunderte, dass Ivy und Mervyn die schnellsten Erfolge vorzuweisen hatten - wenn auch Mervyn weit hinter Ivy zurückblieb, aber auch das war zumindest für Alisa, Franz Leopold und Luciano keine Überraschung.
    Dieses Mal führten Jolanda und Gaston die Aufsicht. Tammo versuchte, Jolanda über ihr Leben bei der Räuberbande auszufragen, die vor ein paar Jahrzehnten ihr Versteck in einer Gipshöhle draußen bei der Sickergrube von Montfaucon gehabt hatte. Obwohl sie als junge Frau zum Vampir gemacht worden war, hatte sie bereits ein Dutzend Jahre bei der Mörderbande eines gewissen Rotarm gelebt, so viel hatte Tammo mit seiner hartnäckigen Fragerei erfahren. Sie hatten das kleine, dürre Mädchen wohl für manche Missetat gebraucht, für die die anderen zu groß oder schwer gewesen waren. Auch heute war ihr Körper einer zwanzigjährigen Frau kleiner und zierlicher als gewöhnlich, dennoch wagte keiner, ihre Stärke zu bezweifeln oder ihren Jähzorn herauszufordern. Diesen bekam Tammo fast zu spüren, der mit seiner Fragerei nicht lockerließ, obgleich sie ihn schon zweimal ermahnt hatte, er solle sich um seine Aufgabe kümmern und sie nicht weiter belästigen. Fernand griff nach sein em Arm.
    »Lass es!«, raunte er. »Sie ist schlimmer als Claude und Sébastien
zusammen, wenn sie in Wut gerät, und du bist ganz kurz davor, dass sie dir das Fell gerbt.«
    Tammo war so schlau, sich den Rat zu Herzen zu nehmen, und machte sich wieder an seine Übung.
    Kurz darauf ließ Gaston sie ohne eine Erklärung allein und verschwand in einem der Gänge. Auch Jolanda langweilte sich herzlich und dachte bald nur noch an ihren wachsenden Blutdurst, wie Franz Leopold den anderen verriet.
    »Du weißt, dass es unhöflich ist, die Gedanken anderer zu lesen und dann auch noch weiterzuerzählen«, mahnte Ivy.
    »Mag sein, aber es ist interessant«, gab er unbeeindruckt zurück. »Lange hält sie nicht mehr durch«, prophezeite er, ohne sie aus den Augen zu lassen. Und richtig, kaum eine halbe Stunde später wies Jolanda die Erben an, brav in der großen Halle zu bleiben und zu üben. Sie drohte

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