Die Erben der Nacht - Pyras
Glaubst du, wir sind so ungeschickt, uns in ihr Bewusstsein zu drängen. Nein, sie haben mit ihren Räuberbanden, den Schmugglern, den Aufständischen und Widerstandskämpfern vor und nach jeder Revolution genug zu jagen.«
»Wir werden schon einen Weg finden«, sagte Luciano zuversichtlich. »Wir haben Ratten, die sich hier auskennen.«
»Die ihr auch aus der Ferne lenken könnt?« Joanne war skeptisch.
»Ivy kann alles!«, rief Luciano überzeugt.
»Und ich bin auch nicht ganz unerfahren im Öffnen von Schlössern«, ergänzte Alisa und zog ihre Sammlung von Einbruchswerkzeug aus ihrer Hüfttasche. Joanne begutachtete sie interessiert.
»Dennoch, was immer ihr auch vorhabt, es wird nicht funktionieren. Wo wollt ihr hin? Wie euch zurechtfinden? Geht ihr hinauf und fragt die Passanten nach dem Weg?«
»Wenn es sein muss«, gab Franz Leopold zurück.
»Wir könnten aber auch die, die sich hier auskennt, fragen, ob sie uns begleitet und uns führt«, sagte Ivy freundlich.
Joanne strahlte. »Ja, klar. Wo wollt ihr denn hin?«
»Zur Oper, das heißt zuerst zu der Stelle, an der euer Seigneur verschwunden ist.«
»Das ist ein weiter Weg«, gab Joanne zu bedenken. »Die Oper liegt auf der anderen Seite der Seine.«
»Ja, und? Die Nacht ist noch jung, wir sind schnell und wir wollen Paris kennenlernen«, widersprach Luciano.
Joanne grinste noch breiter. Sie stieß einen Pfiff aus, dem sofort vier Ratten folgten. »Also, dann los. Ich führe euch auf dem schnellsten Weg zur Oper.«
»Und ich dachte, sie will uns unseren Ausflug vermiesen«, sagte Alisa leise zu Ivy. »Wer hätte gedacht, dass sie mitkommen will!«
»Fernand und Tammo haben sich alleine davongemacht. Ich denke, sie hat keine Lust, die ganze Nacht in der Höhle zu sitzen und auf ihre Rückkehr zu warten«, vermutete Ivy.
Beim Geräusch der sich nähernden Schritte sprang Latona auf und ließ Alexandre Dumas’ Roman Le Comte de Monte-Christo, in dem sie seit Stunden gelesen hatte, achtlos auf das Ruhebett fallen. Die Schritte verhallten vor der Tür, die Klinke senkte sich. Lautlos wurde die Tür aufgeschoben.
»Carmelo! Wo warst du so lange?«
»Ach, du bist noch wach?«
Mit schuldbewusster Miene trat Carmelo in das Hotelzimmer, das er mit einem weiteren angrenzenden Schlafzimmer zusammen mit Latona bewohnte.
»Ja, ich bin noch wach! Ich konnte nicht schlafen, denn ich habe mir Sorgen gemacht. Sagtest du nach dem Essen nicht, du würdest
dir nur noch kurz die Beine vertreten, das Kaninchen läge dir ein wenig schwer im Magen? Und nun ist es weit nach Mitternacht!«
Carmelo trat ein und schloss die Tür hinter sich. Er schien mit sich zu ringen. »Verzeih, es lag nicht in meiner Absicht, dich zu beunruhigen. Du sagtest, du seist müde und wolltest zu Bett gehen, daher dachte ich mir nichts dabei.«
Latona machte eine ungeduldige Handbewegung. »Wo bist du so lange gewesen?«
Ein ärgerlicher Zug trat in seine Miene. »Ich glaube, du verkennst die Tatsachen. Ich bin der Onkel und du die Nichte, nicht andersherum. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«
Traurig ließ sich Latona auf das Ruhebett sinken. »Du verbirgst etwas vor mir. Hast du etwa dein Versprechen gebrochen?« Tränen traten ihr in die Augen.
Carmelo versuchte sich an einem beruhigenden Lächeln. Er durchquerte das Zimmer und ließ sich neben ihr auf die gepolsterte Bank sinken.
»Was machst du dir nur für Gedanken. Vergiss diese Geschichten endlich. Kein Blutsauger soll dein Leben mehr belasten.«
»Dann sage mir, wo du gewesen bist und was dich so lange aufgehalten hat.«
Carmelo seufzte. Er zögerte noch einen Moment. »Gut, wenn du es unbedingt wissen willst. Auch wenn das kein Gesprächsthema für ein junges Mädchen ist.« Sie sah ihn nur ernst an.
»Ich habe auf der Straße einen alten Bekannten getroffen, der auf dem Weg in ein Lokal war, das in Paris immer mehr an Berühmtheit erlangt. Ein Tanzlokal, in das man allerdings keine anständige Frau mitnehmen würde. Die Damen, ich meine die Tänzerinnen, sind eher spärlich bekleidet, daher trifft man in dieser Lokalität am Pigalle auch fast nur Männer unter den Gästen an.«
»Und? Hat es dir gefallen?«, fragte Latona kühl.
»Äh ja, ich kann es nicht abstreiten. Die Tänzerinnen sind gut gewachsen und schön anzusehen.«
Die Verzweiflung wich Neugier. »Erzählst du mir davon? Wie ist es? Was tanzen sie dort? Wie sind sie angezogen?«
»Wie ich schon sagte, das ist nichts für dich. Geh nun zu
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