Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
Konturen und eine riesige Fledermaus stürzte sich von den Zinnen. Sie verschwand zwischen den Bäumen, hinter deren schon dünner werdendem Herbstlaub irgendwo dort unten der Eingang zur entheiligten Felsenkapelle verborgen war.
    Der Bucklige sah seinem Herrn nach. » Zwei Dutzend Särge mit verfluchter Erde füllen«, wiederholte er und schüttelte den Kopf. So viele Fragen drängten sich ihm auf, und es fiel ihm so unendlich schwer, sich zu gedulden, bis der Meister bereit war, mehr von seinen Plänen preiszugeben.

Verhinderte Flucht
    Latona legte sich wie gewohnt zur Ruhe, doch sie bemühte sich keineswegs, einzuschlafen, um für den nächsten öden Schultag Kräfte zu sammeln. Ganz im Gegenteil. Sie versuchte, wach zu bleiben, und lauschte den nach und nach verebbenden Geräuschen. Jeden Schlag der Uhr zählte sie mit. Sollte sie bis Mitternacht warten oder lieber noch länger, um ganz sicher zu gehen? Sie dachte an ihr geschnürtes Bündel unter dem Bett und die Kleider, die sie unter ihrem Kopfkissen versteckt hatte. Am besten wäre es, sich erst draußen vor dem Schlafsaal anzukleiden.
    Die Uhr schlug zwölf. Latona bemerkte, wie sie schläfrig wurde. Sie zwinkerte heftig und riss dann die Augen weit auf, um ja nicht einzuschlafen. Nicht auszudenken, wenn sie einnickte und morgen beim Wecken ihr Bündel und die Kleider entdeckt werden würden. Das würde ein Geschrei werden! Latona stellte sich vor, wie Miss Cornbed sie mit ihren knochigen Fingern an der Schulter packen und schütteln würde, während sie in den höchsten Tönen zu keifen begann, dass es in den Ohren schmerzte. Dann würde sie Latona zur Direktorin schleppen. So einer verbiesterten alten Betschwester, die ihr einen Vortrag über die Tugenden einer jungen Dame halten würde. Anstand und Würde gehörten dazu, aber auch Demut und Zurückhaltung, Feingefühl und Takt.
    Latona verdrehte die Augen. Nein, sie konnte es hier keinen Tag länger aushalten. Sicher würde Bram das verstehen, wenn er wüsste, wie es in einer solchen Mädchenschule zuging. Oder wusste er es gar und hatte sie trotzdem hierher verbannt?
    Dafür sollte sie ihm die Augen auskratzen! Er hatte Verrat begangen, und das, nachdem sie endlich begonnen hatte, ihm zu vertrauen und ihn als eine Art Vormund zu akzeptieren.
    Der Zorn und die Überlegung, wie sie sich an ihm rächen konnte, hielten sie bis ein Uhr wach. Sie lauschte dem Schlag der Glocke drüben in der Kapelle, dann rutschte sie leise aus dem Bett, griff nach ihrem Bündel und den Kleidern und schlich aus dem Schlafsaal. Eines der Mädchen drehte sich mit einem Seufzer auf die andere Seite, doch niemand hielt sie auf.
    Draußen zog sich Latona rasch an, schwang ihr Bündel auf den Rücken und schlich den Gang entlang bis zur Hintertür, die in den Garten führte. Sie war mit einem Riegel verschlossen. Es kostete sie Überwindung, ruhig zu bleiben und ihn ganz langsam, Stück für Stück zurückzuziehen. Sie hatte es ausprobiert. Nur so war er leise genug zu öffnen, ohne eine ihrer Gefängniswärterinnen – wie sie sie insgeheim nannte – zu alarmieren. Endlich war der Riegel entfernt, und Latona zog die Tür so weit auf, dass sie hindurchschlüpfen konnte. Mit einem stillen Seufzer der Erleichterung schob sie den Türflügel wieder hinter sich zu und sog die kalte Nachtluft tief in sich ein.
    Endlich frei! Oder zumindest fast. Nun galt es noch die Mauer zu überwinden, die den ehemaligen Klostergarten umschloss, was mit ihren langen Röcken sicher kein einfaches Unterfangen werden würde. Zumindest nicht, wenn sie danach nicht wie eine Landstreicherin aussehen wollte, die der nächste Constable, dem sie begegnete, auf der Stelle festnahm. Nein, schließlich wollte sie den Zug besteigen und nach London fahren, ohne Verdacht zu erregen. Die Schienen mussten hier ganz in der Nähe verlaufen. Man konnte selbst im Schlafsaal das Pfeifen der Lokomotiven hören. Sie brauchte also nur den nächsten Bahnhof zu finden. So lautete zumindest ihr Plan. Sehr weit konnte er nicht sein, das wusste sie von ihren Mitschülerinnen. Latona suchte nach den Münzen in ihrer Tasche. Allzu viele waren es nicht, obgleich Bram sie nicht knapp hielt. Leider hatte die Direktorin ihr den größten Teil abgenommen, um das Geld für sie aufzubewahren, da sie es während der Schulzeit sicher nicht benötige. Und falls doch eine Anschaffung zu tätigen wäre, könne sich Latona ja vertrauensvoll an sie wenden.
    Sie schnitt eine Grimasse. Aber ja!

Weitere Kostenlose Bücher