Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
war auch passiert. Wie lange würde es dauern, bis er das Risiko noch einmal einging?
*
Als sich die Erben am nächsten Abend wieder in der Halle trafen, erwarteten sie, neue Fälle zugeteilt zu bekommen. In den vergangenen beiden Nächten hatten sie weder Lord Milton noch Lady Margaret zu Gesicht bekommen, da diese mit irgendeinem wichtigen Fall im Tower beschäftigt waren, doch heute Abend nahmen die Führer der Vyrad und des Temple Inn Court wieder ihre gewohnten Plätze ein. Außer den Erben waren auch einige der Barrister des Court in ihren langen schwarzen Roben und mit den grauen Perücken auf dem Kopf anwesend. Es waren sowohl Clanmitglieder reinen Blutes als auch Unreine, die teils als Studenten, teils auch erst als fertige Advokaten gewandelt worden waren. Die meisten hatten Stapel von Akten dabei, die mit rosaroten Bändern zu verschieden dicken Paketen zusammengeschnürt waren. In kleinen Gruppen saßen sie beisammen und unterhielten sich lebhaft, aber mit leiser Stimme. Zur Verwunderung mancher Erben lehnten sie es nicht ab, ebenfalls einige Becher Blut zu leeren. Vielleicht waren sie so sehr mit ihren Fällen beschäftigt, dass ihnen die Zeit fehlte, selbst auf die Jagd zu gehen?
Alisa wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Senior Benchers vorne am Tisch zu. Lord Milton wartete, bis die Erben ihre Becher mit Blut geleert hatten, ehe er das Wort ergriff. Der Vyrad erhob sich. Die Gespräche verstummten.
» Meine lieben Erben der Clans. Ihr habt eure erste Aufgabe gut gelöst, und wie mir zugetragen wurde, habt ihr in den vergangenen Nächten auch fleißig geübt, unsere magischen Fähigkeiten zu erlernen. Mir wurden bereits die ersten Erfolge gemeldet, was mich freut und zuversichtlich stimmt, dass ihr alle bald der Sonne trotzen oder als Nebel durch jede noch so kleine Ritze fließen könnt. Doch nun zu heute Nacht. Ich hatte vorgehabt, euch mit neuen, dieses Mal aktuellen Fällen zu versorgen, bei denen die Ermittlungen von Scotland Yard noch laufen, als sich heute etwas ereignete, von dem ich annehme, dass es euer Interesse findet. Ich bin schon eine ganze Weile mit einem Fall beschäftigt, der ein wenig ungewöhnlich ist und nicht den üblichen Kriminalfällen entspricht, bei denen ich als Advokat hinzugezogen werde. Es ist nicht einmal sicher, ob es sich überhaupt um Verbrechen handelt– und wenn ja, welche Seite die Täter und welche die Opfer waren. Das ist Ansichtssache. Eines jedenfalls ist sicher: Wir haben es mit Toten zu tun. Mit sehr vielen Toten! Mehr will ich im Augenblick nicht sagen. Ich hoffe, ich habe eure Neugier geweckt. Trinkt aus und sammelt euch dann draußen im Fountain Court , dass wir gemeinsam den Ort des Geschehens aufsuchen: den Tower of London .«
Gespannt machten sich die Erben mit einigen der Vyrad als Begleiter auf den Weg. Lord Milton kam selbst mit und auch Lady Margaret begleitete sie. Beide trugen sie die düsteren Umhänge ihrer Zunft und schritten schweigend vor den Erben her. Zu Lucianos Freude schlossen sich diesmal auch Ivy und Seymour an. Als dann noch Clarissa zu ihm trat und ein wenig schüchtern fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie ihn begleite, strahlte er über das ganze Gesicht.
Er streckte ihr beide Hände entgegen. » Ganz im Gegenteil! Ich freue mich, wenn du mitkommst, und ich glaube auch nicht, dass wir heute irgendwelche magischen Fähigkeiten benötigen, die du noch nicht beherrschst.«
Clarissa seufzte. » Ich werde sie wohl nie erlernen, oder?«
Luciano legte ihr den Arm um die Schulter. » Warum denn nicht?«
» Weil ich eine Unreine bin«, gab sie ein wenig ungeduldig zurück.«
» Ja und? Können die Servienten der Vyrad etwa nicht bei Tag umherspazieren oder sich in Nebel auflösen?«
» Doch schon, aber unterrichtet werden nur die Erben.«
Dem musste Luciano zustimmen. » Ja, aber sobald ich Zeit habe, übe ich mit dir alles, was ich in den Akademiejahren gelernt habe. Bestimmt kannst auch du dich bald in eine Fledermaus verwandeln oder Gedanken lesen.«
Sie sah ihn mit sehnsuchtsvoll aufgerissenen Augen an. » Wirklich? Dann wäre ich wenigstens kein nutzloses Anhängsel mehr.«
Luciano wollte ihr widersprechen und betonen, dass sie weder ein Anhängsel noch nutzlos sei, als er Leos träge Stimme in seinem Kopf vernahm.
Also, Ersteres kannst du ja versuchen ihr beizubringen, aber bei dem Thema Gedankenlesen wäre ich vorsichtig, vor allem, da du es noch immer nicht gelernt hast, deinen Geist vor einem fremden Zugriff
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