Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
Pistole in der Hand gehalten. Müssen wir uns wirklich fragen, wie das ausgehen wird?« Ihre Stimme kletterte noch einige Töne höher. » Sie schießen mit silbernen Kugeln!«
Franz Leopold zuckte kaum merklich zusammen. Hatte er das nicht gewusst? Wenn ja, so gab er es jedenfalls nicht zu, sondern beharrte darauf, dass das nicht zu ändern war und sie nichts anderes tun könnten, als den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Alisa starrte ihn entgeistert an. » Ist das dein Ernst? Er ist dein Freund! Du müsstest für ihn einstehen.«
Leo nickte. » Ja, Luciano ist mein Freund, und ich stehe ihm in dieser Stunde bei. Deshalb bin ich sein Sekundant. Ich werde mit ihm schießen üben und ihm jeden guten Ratschlag geben, den ich über Duelle weiß, mehr kann ich nicht tun.«
» Du musst es verhindern, wenn du ein wahrer Freund sein willst!«, verlangte Alisa.
» Indem ich mich der Kugel in den Weg werfe und mein Leben für das seine gebe?«
» Blödsinn! Natürlich nicht«, fauchte Alisa. » Das Duell darf gar nicht stattfinden. Er muss es absagen. Soll er sich eben bei Lord Byron entschuldigen.«
» Dafür, dass der sein Mädchen geküsst hat? Nein! Alisa, du verstehst davon nichts. Lass Luciano einmal etwas Mutiges und Ehrenvolles tun, worauf er nachher mit Recht stolz sein kann.«
» So ein Geschwätz kann nur ein Mann von sich geben! Ja, er kann stolz darauf sein, wenn es ihn danach noch gibt und die Silberkugel ihm nicht sein Herz zerfetzt hat!«
Leo hob die Schultern. » Manches Mal muss man ein Risiko eingehen und seine Angst überwinden, um an Kraft und Erfahrung zu gewinnen.« Alisa verdrehte die Augen.
» Woher weißt du überhaupt von der Sache?«, verlangte Leo zu wissen. » Hat Luciano sich bei dir ausgeweint?«
» Nein, du musst gar nicht diese angeekelte Miene aufsetzen. Er hat mir kein Wort gesagt, obwohl ich ihm ganz schön zugesetzt habe, es mir zu verraten.«
Leo hob fragend die Brauen. » Clarissa?«
» Nein! Du hast mir doch beigebracht, Gedanken zu lesen. Schon vergessen?«
Leo seufzte. » Manches Mal wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Dann hat Luciano es also wieder einmal nicht geschafft, seinen Geist vor deiner Neugier zu verschließen. Das hätte ich mir denken können.«
» Das hat nichts mit Neugier zu tun. So etwas nennt man unter Freunden sich Sorgen um jemanden machen. Wenn einer mit einer Grabesmiene herumläuft, will man wissen, was ihn bedrückt!« Sie starrten sich eine Weile an.
» Du hast also nicht vor, etwas dagegen zu unternehmen?«
Leo schüttelte den Kopf. » Nein, und auch du wirst dich still verhalten. Ich weiß, dass du daran denkst, zu Lord Milton oder Lady Margaret zu laufen, doch ich beschwöre dich: Tu es nicht! Luciano würde es dir nicht danken, und die Vyrad vermutlich auch nicht. Die alten Ehrbegriffe zählen hier noch etwas. Und von einem Duell tritt man nicht zurück!«
Alisa sah ihn noch einige Augenblicke mit harter Miene an, dann wandte sie sich ab und rauschte davon.
» Vermutlich hat er gar nicht vor, Luciano zu vernichten«, rief Leo ihr hinterher, doch er konnte nicht sagen, ob Alisa es hörte.
*
Es war eine kalte Novembernacht. Nebel kroch über das Pflaster der Gassen und quoll zwischen den alten Parkbäumen hervor. Doch die Wiese, die Lord Byron für ihr Treffen gewählt hatte, erhob sich ein wenig über das graue Nebelmeer und lag klar im Licht des tief stehenden Mondes.
Leo sah sich um und nickte beifällig. » Er hat den Ort gut gewählt. Vermutlich ist dies nicht sein erstes Treffen hier.«
Luciano grinste ein wenig gezwungen. » Hast du die Pistolen?«
Leo nickte und hob den länglichen Kasten hoch. Er öffnete den Deckel unter dem die beiden geladenen Duellpistolen lagen. Es waren echte Kunstwerke, mit ziselierten Läufen und wertvollen Einlegearbeiten aus Elfenbein in den Griffen. Der Nosferas legte seine Hand zaghaft auf eine der Waffen, und Leo sah erleichtert, dass sie nicht zitterte. Der Dracas hatte mit Luciano in der vorherigen Nacht auf einer abgelegenen Rasenfläche im Hyde Park so lange geübt, bis der Himmel sich rosa färbte und sie sich schleunigst auf den Rückweg machen mussten, um noch rechtzeitig den Schutz des Temple zu erreichen, ehe die ersten Sonnenstrahlen den Tau des Grases wie Diamanten aufblitzen ließen.
» Du hast dich gestern gut geschlagen«, sagte Leo aufmunternd. » Es gibt nichts, wovor du dich fürchten müsstest. Stell dich aufrecht hin und denke einfach, es ist wieder ein Baumstamm, den du
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