Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
bis er auf dem Absatz einen Stock tiefer auf die Tote traf. Seine Schritte brachen ab. Offensichtlich hatte er den Körper entdeckt. Vielleicht war er unsicher, was er davon halten sollte, und beugte sich herab. Lautlos kamen die Vampire wieder vom Dachboden herunter und lugten über das Geländer.
» Was ist das denn für eine Sauerei?«, hörten sie ihn murmeln, als er sich noch tiefer herabbeugte. Dann erkannte er, was da in die Dielenbretter sickerte.
» Blut!«, stieß er mit einem Keuchen hervor. » Heilige Mutter Gottes, sie ist tot!«
Er richtete sich mit einem Ruck wieder auf und taumelte bis zum Geländer zurück. Fast hätte er das Gleichgewicht verloren und wäre die Treppe hinuntergefallen. Dann fasste er sich und rannte die Stufen hinunter. Lady Margaret erlaubte Alisa, Tammo und Luciano, ihm zu folgen, um den anderen nachher zu berichten, was der Hafenarbeiter als Nächstes tun würde.
Er rannte Hals über Kopf durch die enge Gasse, doch die Vampire hatten keine Schwierigkeiten, ihm zu folgen. Sie waren dicht hinter ihm, als er fast mit einem Uniformierten zusammenstieß. Offensichtlich kannte er den Polizisten.
» Constable Barrett, Gott sei gedankt, dass ich Sie treffe.« Er keuchte.
» Reeves? Was ist denn los? Mann, nun beruhigen Sie sich erst einmal.«
» Mord!«, stieß der Hafenarbeiter aus. » Eine Frau, tot, auf meinem Treppenabsatz. Ich glaube, sie wurde erstochen. Überall ist Blut!«
Der Polizist blieb zumindest äußerlich gelassen. » Laufen Sie zu Dr. Killeen in die Brick Lane und bringen Sie ihn her.«
Reeves rannte davon, während sich der Constable zum Tatort begab. Die Vampire entschieden sich, dem Polizisten zu folgen.
Es dauerte nicht lange, bis der Doktor eintraf. Er brachte auch eine Lampe mit und untersuchte die Tote. Der helle Schein enthüllte schonungslos die unzähligen Verletzungen, die dem Opfer mit zwei verschiedenen Waffen zugefügt worden sein mussten, wie der Arzt Alisas Vermutung bestätigte. Neunundzwanzig unterschiedlich tiefe Wunden zählte er.
» Die meisten stammen von einem ordinären Taschenmesser und sind wohl erst nach ihrem Tod entstanden«, erläuterte er dem Constable. Aber diese tiefen Stiche in der Brust müssen ihr mit einer sehr langen, schmalen Klinge zugefügt worden sein.«
Ein Degen?, schlug Tammo vor.
Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, meinte Leo.
Alisa dachte wieder an den Tower und an die Männer mit ihren Bajonetten an den Gewehren.
Das klingt schon vernünftiger, kommentierte der Dracas.
Der Tag brach an. Unerbittlich wurde das Treppenhaus vom zunehmenden Tageslicht erhellt. Noch ehe der Arzt seine Untersuchung abgeschlossen hatte, drängte Lady Margaret zum Aufbruch. Hier gab es nichts, wo sie sich verstecken konnten, wenn die Schatten erst einmal wichen. Die meisten der Erben waren enttäuscht, dass sie nicht mitbekommen sollten, wie es nun weiterging, doch einige waren nur froh, bald in ihren Sarg zu kommen und die Augen schließen zu dürfen. Leo griff nach Marie Luises Arm, als die Vampirin schwankte und beinahe auf der steilen Treppe zum Dachboden gestürzt wäre. Mit eiserner Hand führte er seine Cousine bis zu dem Durchbruch, der sie ins Nachbarhaus führte, und dann hinunter auf die Straße. Sie war ungewöhnlich still, und ihre Augenlider sanken immer wieder herab.
Auch Karl Philipp benötigte Unterstützung, doch keiner der Erben wollte sich seiner erbarmen. Außerdem brauchten sie ihre Kräfte für sich selbst. So war es Lady Margaret, die den Dracas zum Temple zurückgeleitete und ihm in seinen Sarg half.
Schwerfällig öffnete er noch einmal die Augen und sah die Vyrad an. » Ihr seid eine bemerkenswerte Vampirin, Lady Margaret. Ich hätte nicht geglaubt, dass es abseits unserer Blutlinie so etwas geben könnte.«
» Danke«, erwiderte die Lady mit einem grimmigen Lächeln. » Und nun schlaf.«
Das musste sie nicht zweimal sagen. Karl Philipp versank in der Finsternis seiner Todesstarre.
*
Ivy sah den Erben nach, die mit Gordon und Lady Margaret davoneilten.
Willst du dir den Fall nicht ansehen?, erkundigte sich Seymour. Eine tote Frau in ihrem Blut, noch ganz frisch! Ist das nicht spannend? Sie konnte den Spott in seiner Stimme wohl hören.
Für mich gibt es Wichtigeres zu tun.
Wenn du doch nur einmal » uns « sagen würdest, klagte der Wolf und folgte ihr mit hängendem Kopf in die Templerkirche.
» Es gibt aber nichts, das du tun könntest«, sagte Ivy sanft.
Und wenn ich nur an deiner Seite
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