Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
in ein einfaches Lokal, das am Abend vor allem von Seeleuten aufgesucht wurde. Im Augenblick war sie der einzige Gast. Es war schäbig und hatte seine besten Tage hinter sich, doch hier war es warm, und sie bestellte für wenige Penny ein Essen, das gar nicht mal so schlecht schmeckte und angenehm satt machte. Da das Angebot an Getränken beschränkt war, trank Latona noch ein Ale, dann fielen ihr die Augen zu, und sie sank auf die schmuddeligen Kissen der Bank, die sich an der Wand entlangzog.
Sie schlief ungestört. Vielleicht hatte das Mädchen, das sie bedient hatte, ihren Gast vergessen, oder sie ließ sie absichtlich in Ruhe. Jedenfalls ging der Tag zu Ende. Die Sonne versank, ohne die dichten Wolken noch einmal durchdrungen zu haben, und es wurde dunkel. Nach und nach trafen die ersten Hafenarbeiter ein, die ihre Schicht beendet hatten, sich bei Gin und Bier aufwärmen wollten und ein wenig Gesellschaft suchten. Der Geräuschpegel stieg an und Zigarettenqualm verbreitete sich im Lokal. Einer der Männer entdeckte die schlafende junge Frau und stupste sie in die Seite.
Erschrocken fuhr Latona aus dem Schlaf hoch und sah sich verwirrt um.
*
Heute war kein Unterricht. Lord Milton und seine Barrister hatten einen Fall übernommen, für den sie neue Akten anlegen mussten, und genehmigten den Erben eine freie Nacht, in der sie tun und lassen durften, was sie wollten. Natürlich wurden ihnen einige lehrreiche Werke ans Herz gelegt, doch nicht einmal Alisa hatte Lust, sich in dieser Nacht in der Bibliothek zu vergraben und in alten Schriften zu schmökern.
» Gehen wir ein wenig hinaus«, schlug sie mit funkelnden Augen vor, nachdem sie ihre Blutrationen getrunken hatten.
» Hinaus«, wiederholte Leo mit versonnenem Blick. » Du meinst einfach so ziellos umherschlendern…«
» …bis uns unser Schritt ganz zufällig nach Whitechapel führt«, ergänzte Tammo mit einem breiten Grinsen.
» Wir kommen gerne mit und gehen ganz zufällig nach Whitechapel«, meinte Fernand, der mit Joanne wie üblich in Tammos Kielwasser zu finden war.
» Oder hast du wieder einmal etwas dagegen, wenn dein Bruder dabei ist?«, fragte Tammo.
Alisa dachte darüber nach und stellte erstaunt fest, dass dem nicht so war. Er hatte sich wirklich gemacht und sie empfand seine Gegenwart nur noch selten als lästig. Nein, vielmehr irritierte sie, wie gut er die Fähigkeit der Dracas gelernt hatte. Sie hatte ihn offensichtlich unterschätzt. Das war geradezu beunruhigend!
Vielen Dank, Schwesterherz. Tammo grinste.
Alisa lächelte zurück. Gern geschehen. Laut sagte sie: » Gehen wir?« Zu ihrer Freude gesellte sich Leo wie selbstverständlich zu ihr, und auch Malcolm wollte mitkommen.
» Was ist mit dir, Ivy?«, wollte Alisa wissen, doch die Lycana schüttelte den Kopf.
» Nein, ich habe schon etwas vor. Danke.«
Alisa war ein wenig enttäuscht, wenn auch nicht überrascht. Ivy war in den vergangenen Wochen stets ihre eigenen Wege gegangen.
» Aber ihr könntet Seymour mitnehmen, wenn es euch nichts ausmacht!«
Der Wolf sah sie aus seinen gelben Augen an, als wolle er protestieren, doch nach einem stummen Zwiegespräch gesellte er sich zu Alisa.
» Gehen wir?«, fragte sie noch einmal und sah in die Runde, bis ihr Blick an Malcolm hängen blieb, der wie erstarrt dastand.
Alisa trat zu ihm und berührte ihn zart an der Hand. » Was ist mit dir?«
Er zuckte zusammen und sah sie aus großen Augen an, so als erkenne er sie nicht, dann kehrte sein Blick aus der Ferne zurück.
» Oh, entschuldige. Es war mir, als könne ich Latona wittern.« Er schüttelte heftig den Kopf, als wolle er ein Hirngespinst vertreiben. » Das ist natürlich Unsinn. Lasst uns gehen.«
Nun war es Luciano, der zögerte. » Ich weiß nicht, ob das was für Clarissa ist. Was, wenn der Mörder heute Nacht wieder zuschlägt?«
» Ja und? Was sollte mir schon passieren?« Clarissa setzte eine stolze Miene auf und reckte sich ein wenig. » Ich bin eine Vampirin!«
» Das schon, aber noch nicht sehr erfahren«, gab Luciano zu bedenken.
Clarissa stemmte die Hände in die Hüften. » Ach, und wie soll ich Erfahrung sammeln, wenn ihr mich nicht mitnehmt?«
» Da ist was dran«, gab ihr Alisa recht.
» Und außerdem ist sie ja nicht alleine unterwegs«, unterstützte sie auch Leo.
» Also gut«, gab Luciano zögernd nach. » Aber bleib in meiner Nähe!«
» Aber ja, mein starker Held«, stimmte sie spöttisch zu.
» Dein Spott wird dir vergehen, wenn wir auf den
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