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Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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worden.
    Einige Hundert Schritte weiter passierte Latona am Moorgate die nördliche Stadtmauer. Sie folgte der Straße ein Stück, bis links von ihr eine Mauer auftauchte. Im Mondlicht breitete sich ein Gräberfeld vor ihr aus. Bunhill Fields , der Friedhof der Dissenter, der Nonkonformisten, wie man die Abweichler von der englischen Amtskirche nannte. Dieser Ort hatte bereits den Sachsen als Friedhof gedient. Später, im 16. Jahrhundert hatte man ihn Bone Hill – Knochenberg– genannt, nachdem man mehr als eintausend Wagenladungen menschlicher Überreste vom Beinhaus der alten St. Paul’s Cathedral hierher gebracht hatte.
    Der dunkle Friedhof stieß Latona ab und zog sie dennoch wie magisch an. Obwohl ein Teil von ihr lieber in die andere Richtung davongegangen wäre, griff ihre Hand nach der rostigen Klinke und schob das Tor auf. Ihr Schritt lenkte sie zwischen alte Gräber. Der feuchte Geruch von Erde, Moos und Moder stieg ihr in die Nase, während ihre Gedanken sich in Träumereien ergingen.
    Ja, sie ahnte, warum der Friedhof sie so anzog. Sie war am Scheideweg ihres Lebens angelangt. Oder sollte sie besser sagen: am Ende ihres Lebensweges? Vielleicht würde Malcolm es noch in dieser Nacht beenden. Doch nicht nur der Tod und eine feuchte Gruft warteten auf sie. Nein, sie würde in einem neuen, starken Körper erwachen und mit einem veränderten Geist, der irgendwann all die wundervolle Magie bewirken konnte, über die Malcolm verfügte. Dafür würde sie das Tageslicht aufgeben müssen und zu einer Jägerin der Nacht werden. Blut würde von da an ihre Nahrung sein und ihr Verlangen, das sie Nacht für Nacht antrieb.
    Ihr war es, als steige ihr der Blutgeruch bereits in die Nase. Er wandelte sich in den Gestank von Verwesung, der sie wie Nebelschwaden einhüllte. Latona hielt inne.
    Der Geruch war keine Einbildung. Verwesung war zwar auf einem Friedhof nichts Ungewöhnliches, dennoch fühlte sie, wie sich ihre Nackenhaare aufstellen. Die vielen Toten von St. Paul’s rochen sicher nicht mehr, und auch die jüngeren Toten, die in ihren Särgen tief unter der Erde schlummerten, konnten es wohl kaum sein. Außerdem war es nicht der Übelkeit erregende Gestank stark verwester Leichen. Der Körper musste noch recht frisch sein. Erst ein paar Tage alt, sodass die Zerstörung gerade erst begonnen hatte. Zaghaft ging Latona weiter, alle Sinne wachsam. Ihr Blick schweifte über die Grabsteine und steinernen Monumente. War da nicht eine Bewegung? Ein dunkler Schatten? Latona duckte sich hinter einen moosbedeckten Obelisken. Sie lauschte in die Nacht. Ein schabendes Geräusch, dann ein Stöhnen, der Klang von Metall auf Holz. Dann ein feines Klingeln. Was war das? Noch einmal erklang das Glöckchen, und sie hörte ein unterdrücktes Lachen.
    » Bring das verdammte Ding zum Schweigen!«, schimpfte eine heisere Stimme.
    » Ja, ja, reg dich nicht auf«, beschwichtigte eine andere, die wesentlich jünger sein musste.
    » Tja, zu spät meine Liebe«, sagte die Stimme spöttisch. » Falls du tatsächlich lebendig begraben wurdest, dann hast du jetzt Pech gehabt. Es ist eh keiner da, der dein Klingeln hören könnte. Außer uns. Und wir sind nicht an Überlebenden interessiert.«
    » Halt endlich dein Maul! Komm lieber her und hilf mir.«
    Das Glöckchen verstummte, und auch die Stimme des jungen Mannes schwieg.
    Latona verstand. So eine Vorrichtung hatte sie bereits auf einem Friedhof in Wien gesehen. Eine Glocke, die über eine Schnur mit dem Verstorbenen in seinem Sarg verbunden war. Sollte sich der Körper unerwartet bewegen, erklang das Geläut.
    Viele Menschen fürchteten sich davor, aus Versehen lebendig begraben zu werden und dann in einem Sarg zu erwachen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Was für eine entsetzliche Vorstellung! Was für ein grausamer Tod.
    Latona versuchte den Gedanken zu verdrängen, der sie beschäftigte. Wie würde sie sich fühlen, wenn sie das erste Mal den Tag in einem geschlossenen Sarg zubringen musste? Würde sie sich ängstigen? Würde sie das Gefühl haben, ersticken zu müssen, obgleich sie nicht mehr atmen musste? Sie könnte Clarissa fragen, falls diese mit nach London gekommen war. Ihre Wandlung lag noch nicht lange zurück. Sie würde sich noch an die ersten Tage und Nächte ihres neuen Daseins erinnern.
    Latona tastete sich von einem Grabstein zum nächsten, bis sie die beiden Gestalten nur wenige Schritte vor sich erkennen konnte. Sie ahnte längst, mit wem sie es zu tun hatte. Body

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