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Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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über die Gassen und machte es schwer, frei zu atmen.
    Latona ging zwischen den nun leeren Marktständen entlang. In den Ecken türmte sich der Abfall aus Kisten, durchweichtem Zeitungspapier und verfaultem Obst und Gemüse. Streunende Hunde durchwühlten den Müll nach etwas, das ihnen schmecken könnte. Bei Tag waren die Markthallen in ihrer Glas- und Stahlkonstruktion mit ihrem Überfluss an Waren und dem bunten Treiben der Händler und Kunden sicher ein attraktiver Ort. Jetzt verströmte die riesige leere Halle, die sich nach allen Seiten im Dunkeln verlor, eine unheimliche Atmosphäre, die Latona frösteln ließ.
    Sie ging weiter und überquerte die Commercial Street , deren südlicher Teil bereits zu Whitechapel gehörte. Vor ihr ragte die Christ Church mit ihrem mächtigen säulengeschmückten Eingang und den an einen Triumphbogen erinnernden Kirchturm auf, der in einer lang gezogenen Spitze endete. Aus dem Pub an der Ecke gegenüber drangen laute Stimmen und Gelächter. The Ten Bells, entzifferte Latona die verwitterte Schrift über dem Eingang. Der warme Lichtschein zog sie an. Sie trat näher, bis sie einzelne Stimmen unterscheiden konnte.
    » He, Annie! Lange nicht gesehen. Komm zu uns und trink noch einen Gin mit uns«, rief ein Mann mit einem Humpen Bier in der Hand.
    Die Angesprochene, eine Frau von vielleicht Mitte vierzig mit einem breiten Gesicht und braunem, ungepflegtem Haar, wandte sich um und trat auf den Mann zu. Sie ließ sich ein Glas Gin servieren und stürzte den scharfen Branntwein in einem Zug hinunter. Die Männer um sie lachten.
    » Dir ist wohl kalt, Chapman«, spottete einer.
    Annie nickte. » Ja, kalt und hundemüde. Ich mach mich auf den Weg. Mal sehen, ob die alte Hexe in der Thrawl Street ein Bett für mich hat.«
    Sie gähnte und zeigte ihre gelb verfärbten Zähne.
    » Willst du nicht lieber zu John und deinen Kindern gehen?«, schlug ein anderer vor, der einen dichten Vollbart trug, und erntete damit einen zornigen Blick.
    » Du weißt ganz genau, dass wir uns getrennt haben.«
    » Er hat dich rausgeworfen«, sagte der Dünne zu ihrer Rechten und nickte wissend. » Der neue Mann an deiner Seite heißt Vater Gin, der schon so viele ins Verderben geführt hat.«
    » Na und?«, fuhr ihn Annie an und trank noch einen Gin.
    » Aber ich habe gehört, John Chapman ist ein anständiger Fuhrmann, der seine Frau nicht ohne einen Penny lässt. Was gibt er dir, Annie?«, bohrte der, der ihr den Schnaps spendiert hatte, nach.
    » Zehn Schillinge die Woche«, gab sie mürrisch zu. » Aber das reicht hinten und vorne nicht!«
    Der Mann mit dem Vollbart nickte in Richtung der leeren Gläser, die vor ihr standen. » Das glaube ich dir gern. Aber für heute ist Schluss. Ich muss mein Geld auch zusammenhalten.«
    » Kannst mir ja etwas abkaufen«, drängte Annie und deutete auf das schmuddelige Bündel zu ihren Füßen.
    » Künstliche Blumen und Häkelkram? Ne, danke«, wehrte der Bärtige ab.
    » Das ist doch nicht alles, was du anzubieten hast«, neckte der Dünne und legte ihr die Hand auf das Knie.
    Wider Willen trat Latona noch einen Schritt näher. Sie wusste nicht, warum sie sich nicht lösen konnte, doch sie ließ die Frau in der Männerrunde nicht aus den Augen und lauschte jedem Wort, das gesprochen wurde.
    Annie bedeckte die Hand des Mannes mit der ihren und zwinkerte ihm zu. » Kann schon sein. Bist du interessiert? Viel Vergnügen für nur wenig Geld!«
    Er zog seine Hand zurück und winkte ab. » Eine schnelle Nummer in einem finsteren Hauseingang? Nein danke! Da geh ich lieber zu meinem Weib nach Hause und leg mich zu ihr ins warme Bett.«
    Annie sah enttäuscht drein. Der Dünne jedoch erhob sich, warf ein paar Münzen auf den Tisch, grüßte in die Runde und trat hinaus in die Winternacht. Fast wäre er mit Latona zusammengestoßen. Sie taumelte zurück. Der Mann tippte sich an seine Mütze und murmelte eine Entschuldigung. Dann ging er davon.
    Auch Annie erhob sich und kündigte an, nun aber wirklich ein Bett aufzusuchen. Ein wenig schwankend trat sie in die Nacht. Sie ging kaum einen Schritt weit an Latona vorbei, ohne sie zu beachten. Neugierig folgte Latona der Frau.
    Zwei Straßen weiter bog Annie von der Hauptstraße in eine verwinkelte Gasse ab, die kaum beleuchtet war. Latona zögerte, doch irgendetwas, das sie nicht benennen konnte, trieb sie weiter. War das wirklich nur Neugier?
    Nach zwei Biegungen blieb die Frau vor dem Eingang zu einem heruntergekommenen,

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