Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
Kirchen gibt es in London?«
Malcolm hob die Achseln. » Keine Ahnung. Ein paar Hundert? Ich weiß, dass alleine beim Großen Brand von London 1666 fünfundsiebzig Kirchen zerstört wurden, und das nur im Bereich der City! Wenn wir nun die ganzen Orte drumherum mitzählen, die heute zu London gehören?– Jedenfalls sind es ziemlich viele.«
Tammo fiel die Kinnlade herunter. » Ein paar Hundert? Das ist ja schlimmer als in Rom!«
» Dann fangen wir mit unserer Suche dort an, wo die Männer verschwunden sind, und arbeiten uns dann nach allen Richtungen weiter«, schlug Fernand vor. » Die beiden Hinweise hängen doch sicher zusammen.«
» Oder wir hören uns den dritten Hinweis an«, schlug Marie Luise genervt vor.
Der Erzbischof von Canterbury war schon in den frühen Jahren des Königreichs einer der wichtigsten Kirchenmänner Englands und meist auch ein gefragter Berater bei Hof. Sein Wirken setzte Zeichen. Der Erzbischof aus dem königlichen Haus Wessex gründete nicht nur die Klöster von Westminster und Exeter, er legte im Jahr 970 verbindliche Klosterregeln fest. Seine Reformen, die beispielsweise das Zölibat betrafen, weitete er auf den weltlichen Klerus aus. Seine Schriften gelten als Beginn einer neuen Literatur in englischer Sprache.
Die Erben blickten sich ratlos an. Fernand stöhnte.
» Was soll denn das jetzt bedeuten? Was hat ein Bischof aus dem zehnten Jahrhundert mit verschwundenen Männern fast tausend Jahre später zu tun? Ich fasse es nicht!«
» Müssen die Vyrad es so kompliziert machen?«, grummelte Tammo. » Können sie nicht einfach sagen, um was für einen Fall es sich handelt und wo wir beginnen sollen?«
Sie starrten schweigend auf das Blatt und lasen die drei Hinweise noch mehrere Male durch, bis Alisa auflachte.
» Ich glaube, ich weiß, was der dritte Teil uns sagen soll.«
Ihr Bruder sah sie ungläubig an. » Also, wenn das stimmt, gebe ich freiwillig zu, dass du die schlauste Vampirin bist, die ich kenne.«
Alisa lachte. » Ich erinnere dich bei Gelegenheit daran. Aber fällt euch nicht auf, dass der Name des Bischofs gar nicht genannt wird? Es steht nur da, aus welcher Familie er stammt und wann er Erzbischof von Canterbury war.«
» Ja, und?« Fernand sah sie verwirrt an. » Und was hilft uns das?«
» Ich denke, der Name ist der Schlüssel.«
» Zu was?«, fragte Tammo.
» Zu der Kirche, die wir suchen. Möglicherweise wurde er heiliggesprochen oder so. Jedenfalls hat er viel getan, und man benannte später vermutlich eine Kirche nach ihm. Und in der war unser Stillingsport im Jahre 1801 Referend!«
Fernand und Tammo waren von ihren Gedankengängen gleichermaßen beeindruckt, und sogar Marie Luise nickte anerkennend. Oder bildete sich Alisa das nur ein?
» Jedenfalls brauchen wir den Namen des Erzbischofs. Der müsste doch zu finden sein!« Sie sah sich um.
» Hier in diesem Raum nicht«, meinte Malcolm. » Wir fragen am besten Meister Logan.«
Sie fanden den Bibliothekar des Middle Temple im größten der von Bücherregalen beherrschten Räume. Wie Malcolm verriet, gehörte er zu den Unreinen und betreute die Sammlung bereits seit der Zeit Königin Elisabeth I., die– sehr zu seinem Ärger– Patron Lady des Gray’s Inn und nicht des Temple gewesen war, was noch immer an ihm nagte. Der Inner Temple musste sich mit der Mitgliedschaft von Robert Devereux, dem 2. Earl of Essex begnügen, dem Günstling und vielleicht auch Geliebten der Königin, der dann allerdings nach einem misslungenen Staatsstreich von ihr hingerichtet worden war. Auf seinen ersten königlichen Bencher musste der Temple dann noch bis zur Regentschaft James’ II . warten.
Master Logan war klein, kahl und schmächtig. Er musste die sechzig bereits überschritten haben, als man ihn nach dem Tod seiner dennoch hochverehrten Königin zum Vampir gewandelt hatte. Seitdem hatte er die Räume der Bibliothek kaum mehr verlassen und es gab keine Akte, kein Buch und keine Schriftensammlung, in der er sich nicht bestens auskannte.
» Die Bischöfe von Canterbury? Aber ja, kommt mit. Was müsst ihr über sie wissen? Ach, nur den Namen.« Er eilte ihnen voran, schob eine Leiter an eines der Regale, kletterte behände hinauf und kam mit einem vergilbten kleinen Buch wieder zu ihnen herab.
» Hier ist eine Liste. Welches Jahr sagt ihr? 970? Ah, noch vor dem berühmten Anselm von Canterbury. Hier haben wir es: Dunstan von Canterbury, geboren im Jahr 909 in Glastonbury und gestorben 988 in Canterbury,
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