Die Erben der Schöpfung
den Bäumen. Er war überall. Ich wusste es, wie ich noch nie etwas gewusst habe. Und ich war dermaßen dankbar, dass ich überhaupt nicht mehr aufhören konnte, ihn zu lobpreisen und ihm zu danken, einfach dafür, dass er bei mir war und mich beschützt hat.«
»Das klingt wirklich überwältigend.«
»Wenn du das gefühlt hast, kannst du nicht mehr sagen, dass wir keine Seele hätten. Du weißt es einfach.«
»Und wenn du eine solche Seele im Labor erschaffen kannst? Ohne zu wissen, was du tust?«
»Was mit Biologie beginnt, kann mit Transzendenz enden. Unterschätz bloß die göttliche Schöpfung nicht.«
Da klingelte das Telefon. Jamie regte sich nicht, da sie noch über Paulos Worte nachdachte. Erst das zweite Klingeln riss sie in die irdische Welt zurück. »Siehst du«, sagte sie und griff nach dem Apparat, »wahrscheinlich konnten die anderen einfach zwischendurch nicht ans Telefon gehen.« Sie sah auf die Digitalanzeige im Display. »Ach so – es ist Diego! Na, das wurde aber auch Zeit, dass die sich mal melden.« Sie hielt sich den Hörer ans Ohr. »Diego?«
Am anderen Ende erklang die matte Stimme von Jeremy Evans. »Nein, hier ist Jeremy.«
»Jeremy, Gott sei Dank. Du hast den Rückweg geschafft. Wie geht’s David?«
»Jamie, hör mal, ich habe hier echte Probleme.«
30
Ihre Beute war schnell gewesen. Nachdem sie den Altar auf der Lichtung entdeckt hatten, hatten Susan, Ayala und Carlos den Schimpansen den Rest des Tages weiterverfolgt. Bei Einbruch der Nacht waren sie noch immer ein gutes Stück von ihm entfernt und hatten die Verfolgung unterbrochen, um ihr Lager aufzuschlagen. Ayala fand es zu gefährlich, nachts weiterzumarschieren, vor allem wenn die Jagd womöglich noch etliche Tage länger dauern sollte. Sie mussten mit ihren Kräften haushalten.
Am nächsten Morgen waren sie früh aufgebrochen und hatten ihre Verfolgung fortgesetzt. Glücklicherweise regnete es nun kaum noch, und sie kamen gut voran. Im Lauf des Tages mussten sie jedoch zu ihrer Enttäuschung feststellen, dass sie eher an Boden verloren, statt welchen gutzumachen. Um die Mittagszeit war das Signal deutlich schwächer als am Morgen. Carlos verlor langsam die Geduld. »Wir müssen schneller sein«, erklärte er.
Ayala wies ihn milde zurecht. »Ein bisschen Abstand ist gar nicht so schlecht. Wir haben doch bereits gemerkt, dass wir mit der Geschwindigkeit des Schimpansen nicht mithalten können. Zum Glück bewegt er sich nicht immer nur in Luftlinie. Wir holen ihn garantiert ein. Und mit Geduld und Spucke kriegen wir ihn.«
Susan war stolz, dass sie ihr Tempo hatte halten können. Ihre Kondition war gar nicht so schlecht, wie sie gefürchtet hatte. Das Wandern hatte sich in verschiedener Hinsicht als förderlich erwiesen. Die Landschaft war herrlich, die Luft berauschend und das Training erquickend. Im Regenwald hing ein Geruch, ein schwüler, animalischer Geruch, den sie zuerst abstoßend gefunden hatte, doch nun erschien er ihr wie eine Einladung ins Herz des Dschungels.
Immer wieder waren ihre Gedanken abgeschweift. Ohne auf die gelegentlichen Wortwechsel zwischen Carlos und Ayala zu achten, hatte sie über ihren Mann nachgedacht. Wahrscheinlich merkte er kaum, dass sie weg war. Sie war nicht selten verreist, oftmals auch mehrere Tage oder eine ganze Woche lang. Und obwohl er sie sehr gern hatte, gaben ihm ihre Reisen die Gelegenheit, sich komplett im Management seiner Firma zu vergraben. Sein größtes Laster war ein unstillbarer Ehrgeiz, der ihn weder schlafen noch ruhen noch lieben ließ, solange ein störendes Hindernis seinen Geschäftserfolg bedrohte.
Susan war ziemlich überstürzt aufgebrochen, und als sie ihm gesagt hatte, dass sie zu Recherchen ein oder zwei Wochen nach Manaus wolle, wirkte er regelrecht erleichtert. »Offen gestanden«, hatte er erklärt, »kommt mir das gerade ganz gelegen. Bis unsere Übernahme nächste Woche von der Handelskommission abgesegnet wird, muss ich sowieso ständig im Büro sitzen.«
Sie hatte allerdings nicht erwähnt, dass sie einer neuen Spezies von mörderischen Schimpansen durch den Regenwald hinterherjagen würde, wobei sie das natürlich auch nicht vorausgeahnt hatte. Am besten verriet sie ihrem Mann auch jetzt nichts davon, sonst würde er womöglich einen testosterongesteuerten Versuch zu ihrer Rettung unternehmen, der alles verdarb und den sie nie wieder gutmachen könnte.
Sie malte sich aus, was die Geschichte ihr einbringen würde, falls sie Erfolg hatten.
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