Die Erben der Schöpfung
weiß ich.«
»Ich dachte, du freust dich.«
»Wenn der Schimpanse da drüben ist, hätten Roger und Sameer das Signal schon vor Stunden auffangen müssen. Und das ist unplausibel, es sei denn, sie achten nicht auf ihre Antenne, was wiederum unplausibel ist. Warum haben sie uns nicht angerufen?«
»Na, dann sagen eben wir ihnen Bescheid.« Jamie zückte ihr Telefon und wählte. Keine Reaktion.
Sie machte einen zweiten Versuch. »Sie melden sich nicht.«
Paulo überlegte angestrengt. »Ruf Jeremy an. Frag ihn, ob er etwas von Roger und Sameer gehört hat.«
Jamie wählte wieder. Keine Reaktion.
»Jeremy meldet sich auch nicht. Das ist ja seltsam. Offenbar funktioniert unser Telefon nicht richtig. Vielleicht eine Sonneneruption oder so. Die Batterien sehen jedenfalls gut aus.«
»Hoffentlich hast du recht«, sagte Paulo. »Nehmen wir einfach an, es liegt an unserem Telefon, und Stiles und Sameer sind dem Schimpansen bereits auf der Spur.« Er wirkte noch genauso besorgt wie zuvor. »Gehen wir weiter.«
Schweigend trotteten sie vor sich hin, bis Paulo wieder das Wort ergriff. »Jamie, warum glaubst du, dass der Schimpanse eine Seele hat?«
»Glaub ich gar nicht. Aber ich glaube, dass das, was uns als spirituelle Wesen definiert, nichts anderes ist als das, was er empfindet. Warum sollen wir eine Seele haben und er nicht?«
»Was ist mit Nächstenliebe, Hoffnung, Aufopferung?«
Jamie überlegte kurz. »Deshalb will ich ihn ja unbedingt wiederhaben. Ich glaube, dass er Gefühle ebenso intensiv empfinden kann wie wir. Ich muss nur eine Methode finden, mit der ich es beweisen kann.«
»Hunde haben auch intensive Gefühle.«
»Was macht uns dann zu etwas so Besonderem?«
»Es geht nicht darum, wie viel man empfindet. Es geht um die Art des Gefühls. Manche Gefühle stehen über anderen. Eine Seele zu haben beruht nicht darauf, dass man Schmerz oder Verlangen empfindet, sondern eine Seele hebt uns über all das hinaus.«
»Dann werde ich beweisen, dass er Liebe fühlen kann.«
»Warum beweist du nicht, dass er Gott fühlen kann?«
»Vielleicht ist er intelligenter. Früher habe ich immer gedacht, ich wüsste – ich wüsste einfach absolut sicher, dass es Gott gibt. Dass er mich liebt. Mein ganzes Leben hat sich ständig um Gott gedreht. Ihn zu finden, vor ihm wegzulaufen, ihn zu bekämpfen.« Jamies Augen füllten sich mit Tränen.
»Hör auf zu kämpfen.«
»Das kann ich nicht. Nicht, ehe ich etwas finde, von dem ich weiß, dass es wahr ist, absolut und wissenschaftlich wahr. Wenn Gott mir das zeigen kann, glaube ich an ihn.«
»Und wenn der Schimpanse doch eine Seele hat, Jamie?«
»Willst du damit sagen, unser alter Kenji ist Gott?«
»Eher von Gott inspiriert.«
»Was soll das heißen?«
»Vor Jahren, schon vor meinem Studium, habe ich im Dschungel gelebt, allerdings aus einem anderen Grund. Ich bin auch davongelaufen.«
»Wovor?«
»Vor dem Leben. Ich habe die Grausamkeit auf den Straßen nicht ausgehalten, den brutalen Kampf um Nahrung und Unterkunft. Also bin ich abgehauen und habe mir im Wald ein Zuhause geschaffen. Ich habe niemanden gebraucht. Weißt du, wie einsam es sein kann, wenn man monatelang, ja jahrelang mit keiner Menschenseele spricht?«
Er nahm sie an der Hand und führte sie zu einem Baumstumpf. Sie setzte sich neben ihn, ohne seine Hand loszulassen. Die Berührung blendete alle anderen Empfindungen aus. Sie schloss die Augen und spürte die Kraft und die Wärme seiner Hand.
»Das kann ich mir kaum vorstellen.«
»Du kannst es gar nicht ausblenden. Selbst wenn du mutterseelenallein bist, ja vielleicht gerade dann, hast du das Gefühl, es sei jemand an deiner Seite. Ich dachte, ich verliere den Verstand. Mir wurde dermaßen langweilig, dass ich angefangen habe, das Neue Testament zu lesen. Ich wusste eigentlich gar nicht, warum ich es überhaupt eingepackt habe, aber es ist eben eine Art Familienerbstück, das ich nicht zurücklassen wollte. Irgendwie wohl auch eine Art Talisman.«
»Und was ist dann passiert?«
»Es hat mich verändert. Ich kann es nicht erklären. Eines Tages habe ich darin gelesen und wurde von einem so übermächtigen Gefühl ergriffen, dass ich weinen musste und nicht mehr aufhören konnte. An diesem Tag habe ich beten gelernt. Ich habe fast den ganzen Tag gebetet und das Gefühl gehabt, mich hinknien und Zwiesprache mit Gott halten zu müssen.«
»Gott hat zu dir gesprochen?«
»Er hat in mir gesprochen. Er hat im Wind gesprochen, im Gras und in
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