Die Erben der Schöpfung
musst jemanden in der Firma anrufen und von dort Hilfe anfordern. Weißt du noch, wo David ist?«
Jeremy rekapitulierte in Gedanken die Koordinaten. »Ja, ich hab’s mir eingeprägt.«
»Ruf in der Firma an und sag, sie sollen sofort jemanden hinschicken. Es müsste machbar sein, dass bis morgen früh jemand bei ihm ist. Hoffentlich lebt er dann noch. Und wie geht’s dir?«
»Ich weiß nicht, Jamie. Nicht gut«, stieß er leise hervor.
»Du musst dich vom Lagerplatz entfernen. Dort ist es zu gefährlich. Ich weiß ja nicht, wer Diego und João Miguel umgebracht hat.«
»Glaubst du, es war der Schimpanse?« Bei dem Gedanken spürte Jeremy auf einmal einen Stich in der Schulter, dort, wo ihn der Schimpanse attackiert hatte.
»Kann ich mir nicht vorstellen. Alle unsere Funkdaten deuten darauf hin, dass er kilometerweit vom Basislager entfernt war. Im Wald gibt es jede Menge Piraten, Diebe und andere Kriminelle. Womöglich kommen die Täter zurück. Ist das Boot noch da?«
»Bis jetzt schon.«
»Hast du noch was zu essen?«
»Keine Ahnung. Ich muss erst nachschauen, ob noch etwas da ist.«
»Bitte sei vorsichtig, Jeremy. Ich muss dir nämlich noch etwas anderes sagen. Sameer und Roger gehen nicht ans Telefon, und ich weiß nicht, warum.«
Jeremy antwortete in verbittertem Tonfall. »Tja, wie du schon gesagt hast, es herrscht kein Mangel an Möglichkeiten.«
Er schaltete das Telefon aus und steckte es ein. Wen sollte er denn anrufen? Kannte er auch nur eine einzige Telefonnummer in Brasilien?
Das Boot. Auf dem Boot musste es irgendwelche Unterlagen mit einer Telefonnummer geben. Er zog die Jacke eng um den Körper und durchkämmte das verwüstete Lager nach den Schlüsseln. Schließlich fand er sie nach kurzer Suche in dem kaputten Zelt und wandte sich erneut in Richtung Fluss.
Auf einmal blieb er abrupt stehen. Zwischen den Bäumen bewegte sich etwas. Er horchte auf das Rascheln. Es befand sich seitlich von ihm und kam immer näher. Jeremy rannte los, ohne Rücksicht darauf, dass ihm Zweige und Lianen über Gesicht und Arme peitschten. Das Geräusch wurde immer lauter.
Dann hörte er ein zweites Rascheln, hinter und über sich. Etwas verfolgte ihn. Der Schmerz schoss aus seinem Fuß nach oben, als er seinen Lauf beschleunigte und halbblind durchs Unterholz stürzte.
Über ihm erklang ein Schrei. Ein kämpferischer, schriller Schrei. Jeremy begriff sofort, was er bedeutete. Der Schrei ertönte ein weiteres Mal von der Seite und dann noch einmal von oben.
Da ist es!
Etwa fünfzig Meter weiter vorn konnte er den metallenen Bootsrumpf ausmachen. Schneller! Er musste schneller laufen.
Da ertönte plötzlich ein dumpfer Schlag, und er wandte im Laufen den Kopf. Direkt hinter ihm lief ein schwarzer Schimpanse, der einen langen, spitzen Stock schwang. Jeremy rang darum, zwischen den dichten Farnbüscheln sein Tempo zu halten, als er ein weiteres Tier zu seiner Rechten hörte, das er zwar nicht sah, das jedoch immer näher kam.
Er duckte sich unter einem letzten tief hängenden Ast und spurtete über den Strand auf das Boot zu. Der Schimpanse hinter ihm hechtete nach seinen Füßen und ging mit erhobenem Stock auf ihn los, sodass Jeremy mit dem Gesicht voraus im Sand landete. Er spuckte den Sand aus und rappelte sich hoch. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie der zweite Schimpanse jetzt quer über den Strand auf allen vieren auf ihn zurannte, während der andere ihn von hinten attackierte.
Jeremy wirbelte zur Seite, packte eine Handvoll Sand und warf sie dem Affen ins Gesicht.
Er sprintete die letzten Meter zum Boot und warf sich gegen die Bugseite, um es weiter in den Fluss zu schieben, ehe er nach der Reling griff und sich mühsam hineinhievte. Neben ihm kam ein Stock geflogen, der wie ein Speer den Bug traf, ehe er scheinbar harmlos ins Wasser fiel.
Binnen Sekunden hatte er die Leine gelöst und blickte nun zurück zu den drei Schimpansen, die ihm vom Strand aus nachsahen, während das Boot langsam vom Ufer wegtrieb.
Das Boot schwamm auf eine kleine Landzunge zu, die nur ein kurzes Stück den Strand hinab lag. Die Wasserwirbel trieben es unweigerlich dorthin. Das hatten auch die Schimpansen begriffen, die sofort auf die Stelle zuliefen, an der das Boot stranden musste.
Jeremy holte den Schlüssel heraus und steckte ihn ins Zündschloss. Nichts geschah.
Er versuchte es erneut und drehte die Treibstoff zufuhr auf, während das Boot weiterhin auf die wartenden Affen zutrieb.
Auf dem Weg zum Heck
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