Die Erben der Schöpfung
haben Sie mir gar nicht gesagt.«
Nakamura schwieg einen Moment lang, ehe er zögerlich antwortete. »Eine reine Verwaltungssache, die mich gar nicht betrifft. Und wie läuft es in Ihrer Praxis?«
»Blendend, Kenji. Aber Sie wissen ja ganz genau, dass die Praxis nur ein Zeitvertreib ist, der neben den wesentlich interessanteren Gelegenheiten im Leben herläuft.«
»Für Sie und mich, Kate, sind einzelne Patienten ein viel zu enges Feld, als dass wir unser Lebenswerk darauf beschränken könnten.«
»Kenji, Sie benehmen sich wie ein Primaner, der mich zum Tanzen auffordern will. Ich bin nach wie vor Feuer und Flamme für das Projekt. Rufen Sie an, weil Sie mehr brauchen?«
»Sie sind so aufmerksam wie immer, Kate. Ja.«
»Gut. Nächste Woche wieder eine Ladung. An dieselbe Adresse?«
»Ja. Vielen Dank, Kate. Ich schicke Ihnen dann ein paar Vektoren, damit Sie die DNA übertragen können.«
Kate verschlug es die Sprache. »Was wollen Sie damit sagen, Kenji?« Sie schlang sich die Telefonschnur fest um den Finger.
»Es ist erfolgreich. Und noch viel besser, als wir es uns ausgemalt haben.«
Als sie wenige Minuten später den Hörer auflegte, zitterte Kathryn Batori – aufgeregt, euphorisch und im Vollgefühl ihrer Macht.
5
Jamie stapfte mit einem Kloß im Magen durchs Lager. So hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Wie eine Schlafwandlerin tappte sie durch die leere Gemeinschaftshütte und angelte sich eine Banane aus dem Kühlschrank. Dann ließ sie sich auf einen Stuhl sinken und starrte die Kisten an der Wand an, während sie gedankenlos die Frucht schälte.
Ihre Selbstsicherheit schmolz langsam dahin. Der Auftritt, den sie bei Nakamura hingelegt hatte, war die impulsivste Handlung, die sie je begangen hatte. Zwar vertraute sie ihren Instinkten, bisher jedoch nie in solchem Maße. Nicht zu fassen, dass sie recht gehabt hatte. Und noch unglaublicher waren die Schlussfolgerungen daraus, was recht haben in diesem Fall hieß.
Doch das war genau, was sie wollte und brauchte: eine Chance, tatsächlich etwas zu bewirken. Sie hatte berechnet, was es im Amazonasgebiet verändern würde, wenn eine neue Primatenspezies dazukam. Es würde Veränderungen in der Nahrungskette bedeuten sowie neue Jagdreviere für Raubtiere, und es konnte zweifellos destabilisierend wirken, wenn sich als Reaktion darauf Populationsverschiebungen ergaben. Es war das ideale Setting dafür, Populationsdynamik zu studieren, und das bereits, ohne diesen speziellen Schimpansen zu berücksichtigen.
Und da war noch etwas an dieser Idee, etwas Bedeutendes, fast schon zum Greifen nah. Es hatte etwas mit dem Schimpansen zu tun. Sie schüttelte den Kopf, doch die Sache wurde nicht klarer. Trotzdem wusste sie, dass es etwas richtig Großes war.
Vielleicht lief es ja so ab. Man tut sein Bestes, um sinnvolle Experimente zu entwerfen und seine Karriere zu planen, bis auf einmal etwas völlig Unerwartetes auftaucht. Wenn man dann erkennt, was einem in den Schoss gefallen ist, kann man eine große Entdeckung machen. Diese Gelegenheit würde sie sich nicht entgehen lassen. Was sollte sie denn sonst tun? Noch mal von vorn anfangen?
Ihre beste Zeit war vorbei. Mit ihren einunddreißig Jahren hatte sie bessere Aussichten auf eine Karriere als Model als in der Mathematik, wo Entdeckungen, die jemand nach seinem oder ihrem dreißigsten Geburtstag machte, die Ausnahme waren, nicht die Regel. Dagegen war kein Kraut gewachsen. Aber sie hatte es ja auch nicht leicht gehabt.
Jamie stammte aus einem Vorort von South Bend, Indiana, wo ihr Vater als Buchhalter arbeitete. Ihre Mutter war geisteskrank – nicht in dem Sinne, dass sie sich die Kleider vom Leib riss und nackt auf der Straße tanzte, sondern sie war depressiv, in Hoffnungslosigkeit versunken. Außerdem litt sie an Endometriose. Zumindest erklärte Jamies Mutter damit den Nachbarinnen, warum sie keine weiteren Kinder hatte.
In South Bend drehte sich alles um Football, Basketball und Religion. Da ihr Vater von Basketball ebenso wenig Ahnung hatte wie von Football, wurde Jamies Familie vom Einzigen bestimmt, was in der Gemeinde noch blieb: der Kirche.
Als Einzelkind in einem frommen katholischen Vorort aufzuwachsen war wie Dicksein in Beverly Hills. Jamies Schulkameradinnen luden sie gelegentlich zum Zelten ein, damit sie auch mal erlebte, wie es war, eine richtige Familie zu haben. Außerdem war nicht zu übersehen, dass ihre Mutter für ihren Geschmack ohnehin bereits ein Kind zu viel
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