Die Erben der Schöpfung
müssten wir etwas sehen.« Stiles warf einen Blick auf den Schimpansen. »Also los, kleiner Affe, steck dem netten Mann zuliebe deinen Kopf in die große Krachmaschine.«
Noch während Stiles sprach, erschien plötzlich ein in Graustufen gehaltenes Bild vom Querschnitt durch das Gehirn des Affen auf dem Bildschirm. Stiles zwinkerte ein paarmal und musterte das Bild sehr lange, bis er schließlich in das Mikrofon sprach, das mit dem Magnetraum verbunden war. »Jeremy, irgendwo ist da ein Bewegungsartefakt. Kannst du das Muskelrelaxans überprüfen?«
»Infusion läuft einwandfrei, kein Muskeltonus und kein Artefakt in der CO 2 -Aufzeichnung. Er ist absolut bewegungsunfähig, Rog.«
»Es muss ein Artefakt sein. Könnte es sich um Bewegungen der Atmungs- oder Herzfrequenz handeln?«, fragte Stiles.
»Nö. Die Bewegungssensoren geben keinen Mucks von sich. Was siehst du denn, was ich nicht sehe?«, wollte Jeremy wissen.
»Dann wiederholen wir eben die T1-Sagittalaufnahme«, fauchte Stiles. Jeremy marschierte auf die andere Seite, wo die Schalttafeln für die Patientenmonitore standen. Er drückte ein paar Tasten auf einer Touchscreen-Tastatur, und das Klopfen ertönte erneut. Kurz darauf wurde das Bild von einem zweiten, jedoch fast identischen Bild auf dem Monitor abgelöst.
»Jeremy, soll das ein Witz sein? Gibst du mir hier spaßeshalber die Datei von gestern ein?«
»He, verbindlichsten Dank, Rog. Ich mag ja stark und mutig sein wie ein Tier, aber ich hätte doch erwartet, dass du den Unterschied erkennst.«
Stiles schien ihn gar nicht zu hören. »Komm mal rüber, Jeremy, und sag mir, was du siehst.« Auf Stiles’ Stirn bildeten sich Schweißtropfen.
Jeremy kam herein, trat neben Stiles und schaute ihm zusammen mit Jamie und Sameer über die Schulter. Nach einem ersten Blick wurde er stocksteif und starrte fasziniert auf den Bildschirm. Seine Miene veränderte sich völlig. »Heiliger Bimbam, du hast recht. Die Bilder sind echt, Rog.« Rasch trat Jeremy ans andere Terminal und begann, Befehle einzutippen.
»Ich will Bilder von erstklassiger Qualität«, ordnete Stiles an. »Was kannst du aus einem Acht-Tesla-Magneten herausholen? Mach mir eine volumetrische Erfassung mit Viertelmillimeter-Schnitten auf allen drei Ebenen bis hinunter auf C3. Versuch es mit einer kürzeren Echozeit und erhöhe die Anzahl von Stimuli. Und mach ein paar Oberflächenrekonstruktionen des Kortex.«
»Bin schon dabei. Es dauert aber ein paar Minuten, Rog.«
Jamie konnte ihre Neugier nicht länger bezwingen. »Was ist denn los, Roger? Was ist so dringend? Der Schimpanse läuft Ihnen doch nicht davon.«
»Sehen Sie sich dieses Bild an, und sagen Sie mir, was Sie sehen«, forderte Stiles sie auf.
»Ich weiß nicht – einen Querschnitt durch das Gehirn von oben nach unten.«
»Sehen Sie sich mal die Faltungen hier im Gehirn an. Der Teil des Gehirns, der für die meisten höheren Funktionen zuständig ist, nennt sich Kortex oder Großhirnrinde und liegt wie eine etwa zwei Millimeter dicke Haut über der Oberfläche des Gehirns. Das meiste, was sich im Inneren des Gehirns befindet, ist eigentlich nur eine Verkabelung zwischen einzelnen Punkten an der Oberfläche.
Alles wirklich Wichtige befindet sich an der Außenseite. Die Evolution hat es uns mithilfe der Faltung erlaubt, eine sehr große Oberfläche in unsere Gehirne zu packen – so ähnlich, wie wenn Sie ein Blatt Papier falten, damit es kleiner wird.«
»Und was ist nun so ungewöhnlich daran?«, fragte Sameer.
»Die Art, wie ein Gehirn gefaltet ist, ist bei jeder Art spezifisch. Mit nur geringfügigen Abweichungen hat jeder Mensch Faltungen an den gleichen Stellen. Die Falten im Gehirn haben sogar spezielle Namen. Dasselbe gilt für Tiere. Es gibt Unterschiede zwischen einem Makaken, einem Schimpansen und einem Gorilla, aber zwei Schimpansengehirne müssten sich zumindest auf den ersten Blick gleichen wie ein Ei dem anderen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Falten an den falschen Stellen sitzen?«, hakte Sameer nach.
»Ich sage Ihnen, die Falten sind so unterschiedlich, dass nicht die leiseste Ähnlichkeit mit einem Schimpansengehirn besteht.«
»Hat es mehr Falten, als es haben müsste?«, wollte Jamie wissen.
»Etwa viermal so viele, und das ist noch nicht alles.« Stiles wies auf das Bild. »Der Abstand von hier nach da sollte nur etwa halb so groß sein, wie er ist. Der gesamte Schädel des Tiers hat sich angepasst, um ein größeres Gehirn unterzubringen.
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