Die Erben der Schöpfung
etwas, das nach unserem Tod weiterlebt. Etwas, das uns von Tieren unterscheidet, das einen freien Willen, Gefühle, Kreativität und ein Gedächtnis hat. Und was ist mit ihm?«
Niemand sagte ein Wort.
»Schon früher haben Wissenschaftler behauptet, die Vorstellung einer Seele sei nichts als Schall und Rauch. Die Leute werden das Gleiche über diese Entdeckung sagen – es sei denn, wir sind bereit, dieses Projekt so umfassend, so erschöpfend und so überzeugend zu machen, dass dieser Schimpanse in Fleisch und Blut vor seinen Kritikern bestehen kann und niemand ein Argument dafür findet, warum ich eine Seele habe und er nicht.« Sie betrachtete den reglosen Schimpansen durch die Glasscheibe. »Also, wer ist bereit für den größten Durchbruch in der Geschichte der Neurowissenschaften?«
8
Jamie saß David Mercer an einem Schreibtisch aus Eichenholz gegenüber, dessen Tischplatte abgesehen von dem frisch unterzeichneten Vertrag und einem schicken Füllhalter leer war. Der dicke Teppich roch neu, und durch die Jalousien konnte Jamie ein Stückchen Regenwald sehen, doch der Kontrast zwischen dem Dschungel und dem modernen Büroraum war ihr unangenehm. Das Büro wirkte in der unberührten Waldlandschaft wie ein Fremdkörper.
»Damit wäre dann alles erledigt, Jamie. Willkommen an Bord.«
»Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Ich hatte eigentlich erwartet, dass es länger dauert.«
»Es wäre mir nur lieber gewesen, wenn ich vorher von Ihrem Kommen gewusst hätte. Nakamura hält nicht gerade engen Kontakt mit der Verwaltungsabteilung des Labors.«
»Das wundert mich nicht.«
»Dr. Stiles haben Sie ja schon kennengelernt, soweit ich weiß.«
»Ja. Wir waren gerade in der MRI-Abteilung.«
»Es würde mich interessieren, weshalb Nakamura seit Neuestem so viele Ressourcen in das Schimpansenprojekt steckt. Finanziell betrachtet erwarten wir eigentlich eher, dass unsere Dopaminforschung noch zu unseren Lebzeiten Gewinne abwirft.« Er bedachte Jamie mit einem unechten Lächeln. »Es würde mich offen gestanden interessieren, warum diese Schimpansengeschichte in Ihren Augen so wichtig ist. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass mir weder Kenji noch die anderen beiden Wissenschaftler, die an dem Projekt arbeiten, reinen Wein eingeschenkt haben.«
»Was wissen Sie denn darüber?«
»Also, angeblich züchten sie Schimpansen. Und es gibt ein transgenes Tier mit einigen ausgefallenen Verhaltensweisen.« Er hielt inne. »Hören Sie, Jamie. Ich glaube, ich darf Ihnen vertrauen. Ich bin ein Vertreter der Firma Soliton, und es ist meine Aufgabe, diesen Betrieb profitabel zu machen. Tyler Drake aus der Firmenzentrale macht mir mittlerweile ganz schön die Hölle heiß. Ich will einfach nur wissen, ob an diesem Schimpansenprojekt irgendetwas dran ist, das unserem Börsenwert auf die Sprünge hilft. Es ist bestimmt eine ganz tolle Sache, aber wenn es keine Firma gibt, die die Forschungsarbeiten übernimmt…« Er kicherte in sich hinein.
Jamie musterte ihn genau. Warum fragte er ausgerechnet sie? Sie vertraute ihm nicht, und sie würde diesem Bürohengst auf keinen Fall irgendeinen Vorwand dafür liefern, das wichtigste Projekt ihres Lebens zu stoppen. Also rückte sie die Schultern gerade und antwortete: »Es könnte eine der profitabelsten Entdeckungen der modernen Naturwissenschaften werden.« Was sollte sie ihm schon sagen? »Es würde mich nicht wundern, wenn sich daraus Medikamente entwickeln würden, die Demenz bekämpfen. Oder vielleicht ein Heilmittel für Alzheimer.« Sie kreuzte hinter dem Rücken die Finger.
Er lächelte breit. »Danke, Jamie. Wir werden uns bestimmt noch öfter unterhalten. Aber es gibt noch eine Sache, die ich gern mit Ihnen besprechen wollte, etwas, das ein bisschen heikler ist.«
»Ja?«
»Es ist wegen Nakamura. Irgendwie habe ich das Gefühl, es gibt Reibungspunkte zwischen Ihnen und… na ja, vielleicht ist der Einstieg nicht ganz glatt gelaufen.«
»Den Eindruck hatte ich nicht. Schließlich war es ja Kenji, der mich angeworben hat. Oder gibt es irgendetwas, was ich nicht weiß?«
»Nun ja, Sie sind nicht die Einzige, die nicht so richtig an Dr. Nakamura herankommt. Ich bin eigentlich nie mit ihm warm geworden, und…« Offenbar suchte er nach den passenden Worten. »Manche Leute finden, er maßt sich mehr Autorität an, als ihm zusteht. Jedenfalls ich das Sagen über die finanzielle Seite, und ich dachte, wir könnten uns vielleicht gegenseitig
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