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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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und sie im Unrecht, dass ihr Vater nicht der gütige Mann war, für den sie ihn gehalten hatte, sondern um des Profits und Machtstrebens willen gemeinsame Sache mit Bricassart gemacht hatte. Damit hatte er nicht nur sich selbst, sondern auch seine Tochter ins Unglück gestürzt, und es kam Elena so vor, als müsste nicht er, sondern sie für seine Vergehen büßen.
    Nachdem die Sklavinnen sie gewaschen und sie aufgefordert hatten, die Wanne wieder zu verlassen, trockneten sie ihre Haut und salbten sie mit kostbaren Ölen ein, die sie duftend und rosig machten. Der Tochter des Conde war klar, dass all dies nur dem Zweck diente, sie für ihre Hochzeit mit Damian Bricassart zurechtzumachen. Ein kostbares Gewand wurde herangetragen, das mit Brokat versehen und mit Perlen bestickt war. Unter anderen Bedingungen hätte Elena es als atemberaubend schön empfunden – so jedoch war es das Kleid, in dem sie zu ewiger Gefangenschaft verurteilt werden würde.
    Mit derselben schweigsamen Sorgfalt, die sie darauf verwendet hatten, sie zu entkleiden, hüllten die Sklavinnen Elena jetzt in die vielen Schichten des Gewandes, das ursprünglich für eine junge Dame in Frankreich oder England bestimmt gewesen sein mochte. Wie es in den Besitz der Piraten gelangt war, darüber wollte Elena gar nicht nachdenken. Die Bricassarts hattenmehrfach gezeigt, dass ein Menschenleben in ihren Augen nichts wert war.
    Sehnsüchtig blickte sie zu dem von Planken verschlossenen Fenster der Kammer. Nicht mehr lange, und der neue Tag würde heraufdämmern – jener Tag, an dem sie Damian Bricassarts Frau werden würde, mit dem Segen ihres Vaters. Alles in ihr sträubte sich dagegen, aber die Furcht vor dem Trank war größer als aller Widerstand. Und während die Sklavinnen ihr den Blütenkranz aufs Haupt setzten, wurde Elena klar, dass alle Hoffnung zunichte war.

9.
    E s war ein seltsamer Anblick.
    Fast sah es aus, als wäre auf der kleinen Insel ein Wal gestrandet, so groß war das Gebilde, das dort am Ufer entstanden war. Nur das Leuchten, das vom Innern des riesigen Körpers ausging, strafte diesen Eindruck Lügen.
    Im Schutz des kleinen Eilands, das Jamaica vorgelagert war und bei Ebbe weit aus dem Wasser ragte, hatte Captain Scarborough sein Flaggschiff und die Harness ankern lassen, während er die Harbinger, das dritte Schiff des Verbandes, ausgesandt hatte, das Terrain auszukundschaften. Nur noch wenige Seemeilen trennten das Geschwader von Port Royal, und die Nacht war längst hereingebrochen.
    Dennoch war der bevorstehende Angriff auf Bricassarts Festung nicht das beherrschende Thema an Bord. Staunend und mit einiger Skepsis blickte die am Schanzkleid versammelteMannschaft auf das Gebilde am nahen Strand, das tatsächlich die Form eines Fisches besaß: Über einen leichten Rahmen aus Holz, der an die fünfzig Fuß lang sein mochte, war ein riesiger Schlauch aus dünner Seide gespannt worden. Das vordere Ende des Gebildes war wie ein Maul gestaltet und offen; in der Öffnung hing eine Art Öllampe – ein kugelförmiges, metallenes Behältnis, dessen dicker Docht lichterloh brannte und die Quelle des Leuchtens war, das den Schlauch erfüllte. Der laue Nachtwind, der über den Strand blies, sorgte dafür, dass sich der Seidenkörper zu seiner vollen Größe aufblähte; zum Ende hin verjüngte sich das Gebilde und lief in mehreren langen Schweifen aus, die wie Banner in der Brise flatterten.
    Wie seine Männer war auch Vincent Scarborough erstaunt, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Breitbeinig und mit auf dem Rücken verschränkten Armen stand der Kapitän auf dem erhöhten Achterdeck und schaute zu, was der Chinese, der Indianer, der Schwarze und der Mönch auf der Insel trieben. Schon als Nick Flanagan Admiral Lancaster gebeten hatte, ihm allen Seidenstoff zu besorgen, dessen er habhaft werden konnte, hatte Scarborough einen faulen Trick gewittert. Was er nun sah, übertraf seine ärgsten Befürchtungen.
    »Verdammt, Flanagan«, fuhr er Nick an, der neben ihm an der Reling stand. »Was, in aller Welt, soll das denn werden?«
    »Wonach sieht es denn aus?«, erwiderte Nick.
    »Haltet mich mit Eurer Spiegelfechterei nicht zum Narren, Flanagan. Verratet mir augenblicklich, was Ihr mit diesem Ding da bezweckt, oder ich werde dafür sorgen, dass Ihr und Eure Kameraden …«
    »Es ist ein ›Fliegender Drachen‹«, eröffnete Nick kurzerhand.
    »Ein was?«
    »Ein Fliegender Drachen«, bekräftigte Nick. »Ob Ihr es glaubtoder nicht –

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