Die Erben der Schwarzen Flagge
solltet nicht so leichtfertig reden, Captain«, sagte Pater O’Rorke, der den Disput schweigend verfolgt hatte. »Im Kampf gegen Bricassart und seine Meute werdet Ihr jede Hilfe brauchen, die Ihr bekommen könnt.«
»Wollt Ihr mir jetzt auch noch Anweisungen erteilen? Ausgerechnet Ihr? Ein katholischer Pfaffe?«
»In dem Kampf, der vor uns liegt, Captain, spielt es keineRolle, welcher Glaubensrichtung wir angehören. Es ist ein Konflikt wie vor Urzeiten, ein Kampf des Lichts gegen die Finsternis. Um persönliche Rivalitäten geht es hier nicht. Bricassart mag ein Mensch aus Fleisch und Blut sein, aber er steht mit bösen Mächten im Bunde, und es ist unsere Aufgabe, ihn aufzuhalten, ehe er noch mehr Unheil anrichten kann. Hier geht es um mehr, Captain, als Ihr oder irgendjemand an Bord dieses Schiffes begreift. Port Royal ist ein Ort des Lasters und der Sünde, ein Pfuhl des Bösen wie das biblische Sodom, und der Herr hat uns dazu ausersehen, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Ich werde dafür beten, dass unsere Mission gelingen möge. Und Ihr, Captain, solltet das ebenfalls tun.«
»Betet, wenn Euch danach ist, Mann«, blaffte Scarborough, »ich hingegen betrachte mich als Mann der Tat und bin davon überzeugt, dass der Herr denen hilft, die sich selbst helfen. Also, Flanagan? Wie steht es?«
»Keine Sorge«, versicherte Nick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich werde Euch Bescheid geben, wenn es so weit ist. Bis dahin, werter Captain, werdet Ihr Euch gedulden müssen …«
Elena de Navarro hatte sich in ihr Schicksal ergeben.
Noch immer unter dem Eindruck der vergangenen Nacht, ließ sie alles geschehen – tat sie es nicht, würde Bricassart sie zwingen, den Trank zu schlucken, der aus freien Menschen willenlose Sklaven machte.
Die Bilder des Schreckens standen ihr unvermindert vor Augen, das Echo der Congas hallte in ihrem Bewusstsein nach. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich verlassener gefühlt, nie waren ihre Angst und ihre Verzweiflung größer gewesen. Nicht nur, dass sie der Willkür eines wahren Ungeheuers in Menschengestaltausgeliefert war – auch ihr Vater gehörte zu den Schurken und verlangte, dass sie sich fügte.
Was blieb ihr also übrig?
Wenn sie nicht der Wirkung des Trankes unterliegen wollte, musste Elena sich den Wünschen des Piraten unterordnen. Allerdings war der Widerstand in ihr nicht völlig erloschen. Nur ihr Körper, redete sie sich immer wieder ein, würde tun, was das Oberhaupt der Piratenbruderschaft von ihr verlangte. Ihre Gedanken hingegen waren frei – sie konnte auch Bricassart nicht kontrollieren. Jedenfalls, solange man Elena nicht dazu zwang, das Gebräu des Schamanen zu trinken …
Reglos wie eine Säule stand sie da, während Bricassarts Sklavinnen – junge Frauen mit dunkler Haut, deren blicklose Augen erkennen ließen, dass auch sie unter dem Bann des Voodoo-Priesters standen – dabei waren, sie zu entkleiden. Obwohl jede ihrer Berührungen ihr kalte Schauer über den Rücken jagte, setzte Elena sich nicht zur Wehr, wissend, dass sie damit nur ihren Untergang heraufbeschworen hätte.
Die Sklavinnen sprachen kein Wort. Schweigend verrichteten sie ihr Werk und taten, was Bricassart ihnen aufgetragen hatte. Das verschmutzte und zerschlissene Kleid wurde Elena abgenommen, die Verschnürung der Korsage gelöst. Die Tochter des Conde ließ auch das widerspruchslos geschehen. Geduldig harrte sie aus, bis sie nichts mehr am Leib trug als die Furcht vor dem, was sie erwartete. Schamhaft bedeckte sie ihre Blöße – bis ihr klar wurde, dass jene Sklavinnen weder wussten, was sie taten, noch wirklich wahrnahmen, was sie sahen.
Aus der goldenen Wanne, die die Form einer riesigen Auster besaß und die, wie man ihr gesagt hatte, eigentlich für den Vizekönig in Cartagena bestimmt gewesen war, stieg weißer Dampf auf. Eine der Sklavinnen streute Blütenblätter in das Wasser, woraufsich zarter Duft ausbreitete, der den allgegenwärtigen Gestank im alten Gouverneurspalast ein wenig übertünchte. Freundlich, aber bestimmt forderten die Sklavinnen Elena auf, in die Wanne zu steigen. Nach alldem Schmutz und dem Elend des Kerkers hatte Elena nicht einmal etwas dagegen; mit dem Fuß prüfte sie die Temperatur und ließ sich dann in die Wärme nieder, die sie wohlig umhüllte. Für einen Augenblick musste sie an die Tage auf der Seadragon denken, und wieder überkam sie Trauer.
Sie würde Nick Flanagan niemals sagen können, dass er im Recht gewesen war
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