Die Erben der Schwarzen Flagge
würde.
»Also schön«, erklärte Nick sich seufzend einverstanden, worauf sich Elena bückte, nach dem nächstbesten herrenlosen Entermesser griff und es durch die Luft wirbeln ließ.
»Kein Rapier aus Toledo«, stellte sie mit bebender Stimme fest, »aber es erfüllt seinen Zweck. Bricassart hat mich gedemütigt und mir alles genommen. Dafür wird er bezahlen.«
Damit eilte sie den dunklen Gang hinab, und während die Bukaniere ihr folgten, wurde die Festung erneut von einem schweren Schlag erschüttert. Aber diesmal war es keine Kartätsche.
»Feuer frei!«
Vincent Scarborough war in seinem Element.
Auf dem Achterdeck der Prosecutor stehend, die rechte Hand ins Revers seines roten Rocks gesteckt, umtost vom Donner der Kanonen und umwabert von weißem Pulverdampf, verfolgte der Kommandant des britischen Geschwaders das Schlachtgeschehen.
In stetem Wechsel gaben die Geschütze der Prosecutor und der beiden Brigantinen Feuer und hatten bereits einige der Schiffe, die im Hafen von Port Royal ankerten, auf den Grund des Meeres geschickt. Brennende Wracks säumten die Route, die die drei Segler genommen hatten, und auch aus einigen Gebäuden am Ufer schlug bereits feuriges Gezüngel.
Die Nacht über dem Hafenbecken war zum Tag geworden, beleuchtet von Flammenschein und Mündungsfeuer – und dies umso mehr, als die Festungsgeschütze begonnen hatten, den Beschuss zu erwidern. Nacheinander flammten die Rohre zwischen den Zinnen auf, aber die Schüsse waren zu kurz gehalten, als dass sie den Angreifern tatsächlich hätten gefährlich werden können. Scarborough lachte höhnisch, als die Kugeln in einigerEntfernung ins Wasser schlugen und nur spritzende Fontänen verursachten.
»Ist das alles?«, rief er gegen den Lärm der eigenen Geschütze an. »Ist das alles, was ihr aufbieten könnt, ihr elenden Räuber? Fangt an zu zittern, denn schon bald werdet ihr alle meine Gefangenen sein – und ich, Vincent Scarborough, euer Ankläger und Richter!«
Seine Brust weitete sich, und für einen Augenblick hatte er das Gefühl, vor Stolz und innerem Triumph zu bersten. Endlich durfte er sich bewähren, konnte er seinen Vorgesetzten und aller Welt beweisen, dass sich Kühnheit und taktisches Geschick in seiner Person zur Vollkommenheit vereinten. Schon sah er sich am königlichen Hof zu London, mit Orden an der Brust und als Befreier von Port Royal gefeiert. Möglicherweise, sagte er sich, würde man ihm in London ein Standbild widmen, ihn vielleicht sogar mit dem Gouverneursposten der von Piraten gesäuberten Kolonie betrauen …
Ein einziger Kanonenschuss machte Vincent Scarboroughs hochfliegende Pläne auf einen Schlag zunichte – ein Schuss, der die Harbinger mittschiffs traf und den Großmast zerfetzte.
»Captain, seht!«, rief Lieutenant Benson. Vom Achterdeck der Prosecutor aus konnten die beiden nur entsetzt zusehen, wie die Deckaufbauten der Brigantine, die achteraus nach Steuerbord fuhr, vom fallenden Mast zertrümmert wurden. Schlagartig war die Harbinger kampfunfähig. Ihre Kanonen verstummten jäh, und das Schiff bekam so schwere Schlagseite, dass es dem Feind steuerbords den verwundbaren Rumpf darbot.
»Nein!«, rief Scarborough entsetzt, als die Festungsgeschütze eine wahre Kanonade entfesselten, die die Harbinger mit vernichtender Präzision traf. Die untere Steuerbordflanke der Brigantine wurde aufgerissen, Männer und Trümmer nach allen Seitengeschleudert. Pulver fing Feuer, und es gab achtern mehrere Explosionen. Als dann auch noch der Vorfuß des Schiffes getroffen wurde und die Harbinger bugwärts zu sinken begann, da war klar, dass für das Schiff und seine Besatzung der Kampf unwiderruflich zu Ende war.
»Beiboote fieren! Überlebende aufnehmen!«, befahl Scarborough mit heiserer Stimme. Jetzt galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Der Verlust der Harbinger war schmerzvoll, gewiss, aber zu verkraften, wenn ein schneller Vorstoß zur Festung gelang.
Der Geschwaderkommandant bemühte sich, trotz des Verlusts Sicherheit und Zuversicht auszustrahlen. Insgeheim nagten aber erste Zweifel an ihm, und der hässliche Gedanke, die Kanoniere auf der Festung könnten zu Beginn des Kampfes absichtlich schlecht gezielt haben, um die Angreifer in Sicherheit zu wiegen und sie in optimale Schussweite zu locken, stahl sich in sein Bewusstsein.
»Nicht mit Vincent Scarborough«, rief er trotzig. »Konzentriert das Feuer auf die Festungsgeschütze, Benson. Wir werden diesen elenden Hunden zeigen,
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