Die Erben der Schwarzen Flagge
lächelte. »Fast könnte man glauben, wieder zu Hause in Spanien zu sein – wären da nicht die Hitze und diese lästigen Moskitos, die einem das Leben zur Qual machen. Ganz abgesehen davon, dass es hier keine rauschenden Bälle und großen Empfänge gibt.«
»Das stimmt«, pflichtete Elena ihm bei. »Ein Fest nach spanischer Sitte könnte wirklich helfen, ein wenig Kultur an diesen Ort zu bringen. Warum also veranlassen wir es nicht einfach?«
»Was meinst du?«
»Was wohl«, entgegnete Elena lächelnd, »einen Ball ausrichten natürlich, nach höfischer Sitte und Zeremoniell. Zum einen könntest du damit die Gunst der Offiziere und des Dienstadels gewinnen …«
»Und zum anderen?«
»… zum anderen würdest du deiner Tochter damit eine große Freude machen. Ich habe bald Geburtstag, wie du weißt.«
»Ich habe es nicht vergessen«, versicherte Navarro.
»Und? Was sagst du, Vater?«
»Ich werde darüber nachdenken«, versprach der Conde, worauf es Elena nicht länger auf ihrem Stuhl hielt. Vor Freude sprang sie auf und lief ans andere Ende der Tafel, um ihren Vater dankbar zu umarmen. Den bedauernswerten Diener, der, weiterhin das Palmblatt schwenkend, hinter ihr herrannte, brachte sie damit in arge Nöte.
»Du wirst sehen, dass es eine gute Idee ist«, sagte Elena überzeugt und strahlte über ihr ganzes hübsches Gesicht. »Ein Ball wird dazu beitragen, diesen Ort ein bisschen weniger düster zu machen. Weißt du, was ich glaube?«
»Was, meine Tochter?«
»Ich glaube, es war höchste Zeit, dass eine Frau hier einzieht.«
»Damit hast du sicher Recht.« Der Conde nickte. »Leider konnte ich deine Mutter, die Condesa 2 , nie davon überzeugen, mir in die Neue Welt zu folgen.«
»Du kennst Mutter. Sie verlässt Schloss Navarro nur höchst ungern. Schon eine Fahrt nach Madrid kommt für sie einem Abenteuer gleich. Von einer Schiffspassage in die Kolonien ganz zu schweigen.«
»Das ist wahr. Glücklicherweise bist du aus einem anderen Holz geschnitzt, meine Tochter, und darauf bin ich sehr stolz.«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Vater«, versicherte Elena. »Ich werde dafür sorgen, dass ein wenig Kultur und Lebensfreude in diese Mauern einkehren. Und ich möchte dich nach Kräften darin unterstützen, dein Amt und die dir gestellten Aufgaben zu erfüllen.«
»Das weiß ich, mein Kind. Und dafür bin ich dir sehr dankbar.«
»Hast du meinen Ratschlag befolgt?«
»Welchen Ratschlag?«
»Nun – die Sklaven gerechter zu behandeln und ihre Lebensbedingungen zu verbessern.«
Carlos de Navarro zögerte kurz mit der Antwort. »Aber natürlich, Tochter«, sagte er dann. »Die Sklaven bekommen genau das, was sie verdienen, das verspreche ich dir …«
3.
M it grimmiger Entschlossenheit dämmerte der neue Morgen herauf. Blutrot war der Streifen am östlichen Horizont, als wollte er von den grausamen Dingen künden, die sich im Kerker zugetragen hatten.
Die ganze Nacht über hatte Nick die gellenden Schreie gehört.
Zuerst hatte der alte Angus versucht, die Qualen, die man ihm zufügte, tapfer zu ertragen, und bei all den schrecklichen Geräuschen, dem Knacken und Bersten, dem Schmatzen und Schaben,das durch den Kerker gedrungen war, hatte Nick nur vermuten können, was Navarros Folterknechte seinem Ziehvater antaten. Dann war der Damm gebrochen, und Angus hatte laut geschrien, hatte um einen raschen Tod gefleht, aber Navarros Schergen hatten nur gelacht.
Wie von Sinnen hatte sich Nick in seiner Zelle gebärdet, hatte so sehr an seinen Eisenfesseln gezerrt, dass sie sich tief und blutig in seine Handgelenke geschnitten hatten. Er hatte gezetert und gebrüllt, hatte Navarros Schergen beschimpft und ihren ruchlosen Herrn verflucht. Aber niemand hatte auf ihn gehört – so, als hätte man nur zu genau gewusst, dass die größte Strafe für ihn darin bestand, in seiner Zelle zu sitzen und mit anhören zu müssen, wie man Angus zu Tode folterte.
Immer lauter und durchdringender waren die Schreie des alten Mannes geworden, und immer weniger Menschliches hatten sie an sich gehabt. Mit heiserer Stimme und kaum noch verständlichen Worten hatte der Seemann um Gnade gefleht – und irgendwann in den frühen Morgenstunden war sie ihm zuteil geworden.
Ein scharfer, metallischer Klang war zu hören gewesen, dann war Stille eingekehrt. Und statt Trauer zu empfinden über den Tod seines Ziehvaters, war Nick nur erleichtert gewesen.
Noch eine Weile ließ man ihn in seiner Zelle angekettet, dann
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