Die Erben der Schwarzen Flagge
verfügten, ein Schiff dieser Bauart zu bemannen. Immerhin, dachte Nick grimmig, würde es auch kein anderer mehr bekommen, und die Spanier hatten ein Schiff weniger, mit dessen Hilfe sie die Karibik unterdrücken konnten.
Einen Becher Rum in der Hand, hockte Nick am Feuer und schaute den Kameraden zu, die den Sieg ausgelassen feierten: McCabe, der längst zu viel getrunken hatte, sprang in wilden Zuckungen um das Feuer, die er als schottischen Tanz ausgab, während Demetrios dazu die Fiedel spielte. Der Chinese lächelte still vor sich hin und tat sich an einem großen Stück Fleisch gütlich, während sich Pater O’Rorke wie immer ein wenig abseits aufhielt, den Sieg aber nicht weniger zu genießen schien. Andere Bukaniere saßen im Sand und würfelten um ihren Anteil an der Beute, wieder andere standen beisammen und grölten Lieder, die von blutigen Taten und schaurigen Begebenheiten handelten. Einer der Männer schien ein besonders findiger Geselle zu sein, denn auf die Melodie eines bekannten Seemannsliedes dichtete er ein paar neue Zeilen, die der Wind zu Nick herübertrug:
Jo, ho, ho, Piraten, ihr Höllenbrut der See,
ihr fürchtet Wind und Wellen nicht, nicht Feuer und nicht Glut,
ihr kämpft mit Mut und watet dann in Strömen rot von Blut.
Jo, ho, ho, Piraten, ihr Höllenbrut der See,
wir Bukaniere sind schlauer als ihr, wir holen uns mit List,
das Silber, das, so heißt es wohl, des Königs Eigen ist.
Jo, ho, ho, Piraten, ihr Höllenbrut der See,
wie dämlich müsst ihr alle sein, zu wagen Hals und Haut,
während unser schlauer Nick dem Spanier alles klaut?
Die Sänger brachen in schallendes Gelächter aus, umarmten einander im Überschwang und sprangen ausgelassen um das Feuer, während sie weiter herumgrölten.
Nick konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn es unter den Bukanieren bislang noch welche gegeben hatte, die ihm misstraut hatten, so waren sie seit gestern umgestimmt. Von allen Seiten bedachte man Nick mit bewundernden Blicken, prostete ihm zu und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Gleichsam über Nacht war er vom Außenseiter zum geachteten Mannschaftsmitglied aufgestiegen, und der gute Nobody Jim mit ihm.
Nick sah den Freund drüben beim Würfelspiel sitzen, wo er versuchte, seinen Anteil an der Beute noch ein wenig zu mehren. Die Prise war nach Piratenart verteilt worden, ein jeder war dem Anteil gemäß bedacht worden, den er an der Sache gehabt hatte. Den weitaus größten Teil hatte freilich Cutlass Joe für sich in Anspruch genommen, obwohl er den Plan nicht gefasst hatte und ihn eigentlich auch nicht hatte ausführen wollen. Aber Nick hatte ihn gewähren lassen. Er wollte keinen Streit und war fürsErste zufrieden mit der Vorstellung, Carlos de Navarro ein Schnippchen geschlagen zu haben.
Der Kapitän der Seadragon allerdings sah das anders.
Schon den ganzen Abend über stand Cutlass Joe bei den Rumfässern und sprach dem Alkohol zu, schüttete Becher um Becher von dem feurigsüßen Gesöff in sich hinein. Dabei starrte er mit blöden Blicken zu Nick herüber, die immer wilder und hasserfüllter wurden, je mehr Rum er trank. Irgendwann – es war gegen Mitternacht, und ein funkelndes Sternenmeer hatte sich über die Insel gebreitet – beschloss Joe, dass es genug sei. In einem jähen Wutausbruch schleuderte er den noch halb gefüllten Becher von sich und brach in fürchterliches Gebrüll aus.
»Singt nur!«, schrie er so laut, dass die Musik und der Gesang augenblicklich verstummten. »Singt, ihr dämlichen Hunde! Feiert den Sieg und die Beute, solange es euch gefällt – aber es ändert nichts daran, dass wir bloß Glück hatten. Diesmal haben wir den Spaniern ihr Silber abgejagt, aber das nächste Mal werden sie besser vorbereitet sein, und dann werdet ihr alle baumeln!«
Cutlass Joe lachte mit vom Alkohol schwerer Zunge, und da es unter Piraten ein weit verbreiteter Glaube war, dass der Rum prophetische Qualitäten zum Vorschein brachte, wurden einige der Männer kreidebleich.
»Du hast zu viel getrunken, Käpt’n«, versuchte McCabe seinen Anführer lallend zu beschwichtigen. »Gönn dir noch einen, und dann leg dich aufs Ohr.«
»Ich entscheide, wann ich genug habe, du schottische Schmeißfliege«, rief Joe, und mit bemerkenswert sicherem Schritt trat er in den Lichtkreis der Feuer und starrte in die Runde.
»Genießt diese Nacht«, sagte er, jedes Wort betonend, »aber ihr alle werdet früher oder später am Galgen enden, und dann
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