Die Erben des Terrors (German Edition)
Dzerzhinsky sah sie an und versuchte, sich ein freundliches Lächeln abzugewinnen, auch wenn ihm nicht danach war. Er hatte gehofft, dass die Wettermeldungen aufhören. Er hatte gehofft, die letzten Jahre seines Lebens in aller Ruhe hier in Französisch-Polynesien verbringen zu können, dem Ort der Welt, an dem er sich am wohlsten fühlte.
Die ersten zwanzig Jahre war es aufregend gewesen, die Welt zu entdecken, das erste Mal den Atlantik zu überqueren, das erste Mal gegen achtzig Stundenk ilometer Wind Kap Hoorn zu umrunden, drei Wochen fast ohne Schlaf, immer Ausschau haltend nach Eisbergen, die zu weit nach Norden abgedriftet waren. Dafür aber das tropische Paradies auf Rapa Nui, der Anblick der unzähligen Moai, der kolossalen Steinköpfe der Osterinseln, das herzliche Willkommen der Einheimischen, die damals, in den späten sechziger Jahren, noch kaum Touristen kannten, höchstens ein oder zwei Spinner auf einem Boot im Jahr.
Das erste Jahr in Französisch-Polynesien mit der wunderschönen Makutea, der Tochter des Stammeschefs von Mururoa. Der Stammeschef, Soane Teuira, ein Mann, damals kaum älter als Dzerzhinsky, hatte ihm das Mädchen im Alter von vielleicht sechzehn Jahren wirklich aufgedrängt, und so schlecht Dzerzhinsky damals Französisch sprach, Teuira konnte es auch nicht besser. Aber er verstand wohl, dass der Stammeschef behauptete, dass die französischen Kolonialherren Atombomben auf seiner Insel testen wollten und daher alle Bewohner des kleinen Fischerdorfes evakuiert werden müssten, und er habe einen Cousin in Avatoru auf Ranriroa, siebenhundert Seemeilen im Nordwesten.
Bevor er im Südpazifik angekommen war, hatte er zwei Dinge über die Eing eborenen dort gehört: Erstens, dass sie Kannibalen wären, und zweitens, dass sie sehr promiskuitiv seien. Nachdem er aber weder auf Rapa Nui noch auf Mururoa gegessen worden war, gleichwohl aber sehr positive Erfahrungen mit der Freizügigkeit der Polynesier gemacht hatte, nahm er Makutea gerne mit, auch wenn er Teuira kein Wort bezüglich der Atombomben geglaubt hatte.
Als er mit Makutea im Herbst 1965 an dem wackeligen Holzsteg in der Lagune von Avatoru anlegte, war sie hochschwanger. Ihr zukünftiger Ehemann, ob das nun der Cousin ihres Vaters war oder nicht, hatte Dzerzhinsky nie erfahren, war davon so begeistert, dass er sofort eine große Feier zu ihrer Ehren – und der des Überbringers – veranstalten ließ. Dzerzhinsky war nie wirklich religiös gewesen, aber wenn er sich seine christlich-orthodoxe Mutter in dieser Situation vorgestellt hätte, wäre das nicht so positiv aufgenommen worden. Hier hingegen hatten hundert Jahre christlicher Missionierung der tief verwurzelten Huldigung der Fruchtbarkeit keinen Abbruch getan, und eine schwangere Frau war – nun ja, offenbar eine bessere Frau.
Natürlich hatte man ihm eine andere Frau angeboten, ebenfalls schwanger, aber Dzerzhinsky war jung und wollte noch viel von der Welt sehen, also machte er sich nach einigen Tagen alleine nach Tahiti auf, segelte von dort auf die Cookinseln. Dort lernte er einen schrulligen Amerikaner kennen, der ihm stundenlang die Faszination der lokalen Hahnenkämpfe erklärte. Dzerzhinsky konnte den Hahnenkämpfen nicht viel abgewinnen, sie waren zwar blutiger als die in Russland, aber für ihn nichts Besonderes. Für die Amerikaner hingegen offenbar schon, der schrullige Mann wurde nach seiner Heimkehr Professor in Princeton, wie Dzerzhinsky einige Jahre später aus einer Zeitung erfuhr.
„ Grigory? Eaha te tumu?“, wiederholte Célestine, sich aufsetzend. Die Haut ihres nackten Oberkörpers glänzte seidig im fahlen Mondlicht, die Sterne vom Kreuz des Südens spiegelten sich strahlend in ihren dunklen Augen. Was los ist, wollte sie wissen. Aber das konnte er ihr nicht sagen, oder wollte er es ihr nur nicht sagen? Er setzte sich auf die gegenüberliegende Bank und nahm einen tiefen Schluck Rum, der nach Ananas schmeckte – Rum ohne Geschmack wurde hier nicht hergestellt. Aber die Ananas war ganz in Ordnung, auch wenn das mit den Bananen in der Karibik irgendwie besser schmeckte. Vor allem war der Rhum Agricole aus Martinique sowieso der beste der Welt.
Célestine beugte sich zu ihm hinüber, legte ihre Hände auf seine Knie und sah ihn besorgt an. Sie war ein süßes Mädel, fast schon etwas zu alt für Dzerzhinskys Geschmack, aber mit den Touristen kamen auch westliche Vorstellungen in die Südsee, und mit ihnen westliche Gesetze. Da war es plötzlich
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