Die Erben des Terrors (German Edition)
Sakkotasche zu vibrieren begann. Er nahm es heraus und sah eine Meldung der Überwachungskamera in seinem Appartement. Er hatte sie vor einem Jahr eingebaut, eher aus Spaß – in seiner Wohnung befand sich nichts wertvolles, zudem lebte er in einer guten Gegend und hatte einen Sicherheitsbeamten an der Pforte zu seinem Hochhaus. Aber die Kamera war billig, und auf diese Weise konnte er jederzeit bei sich zuhause nachsehen, ob alles in Ordnung war. Was er selten tat.
Wenn die Kamera aber eine Bewegung registrierte, sendete sie automatisch ein Bild per eMail auf sein Handy . Das Bild, das Zhang sah, war beunruhigend. Es zeigte eine halb in den Raum fliegende Tür und dahinter eine schwarz vermummte Gestalt mit vorgehaltener Waffe. Er wischte ein paar Mal über den Bildschirm, bis ihm das Gerät ein Live-Video seiner Wohnung anzeigte. Mittlerweile waren sechs schwarz vermummte Gestalten mit Waffen in seiner Wohnung. Es sah aus wie der Einsatz eines Sonderkommandos in den amerikanischen Krimi-Serien, die der Straßenhändler einen Block weiter auf selbst gebrannten DVDs verkaufte.
Zhang ließ geschockt seine Essstäbchen in die Suppe fallen. Er blickte fasziniert auf die professionell arbeitenden vermummten Gestalten in seiner Wohnung, bis einer von ihnen die in einem Bücherregal stehende Kamera fand. Zhang sah das Gesicht des Mannes in Großaufnahme, die Augen hinter einer dunklen Schutzbrille versteckt, der schwarze Helm bis über die Backen reichend. Kurz sah Zhang die Hand des Mannes, die nach der Kamera griff, dann wurde das Bild schwarz und die Meldung „keine Verbindung“ blendete sich ein.
„Was zum Teufel?“, sagte Zhang laut, was der Koch mitbekam. Wang kam sofort hinter seinen Töpfen hervor und fragte schüchtern, ob etwas nicht in Ordnung sei. „Alles in Ordnung“, sagte Zhang mit zittriger Stimme. „Jin, mein Freund“, sagte der Koch, „du bist einer meiner besten Kunden… ich bin dir nicht böse, wenn Du mir eine Kakerlake in der Suppe vorwirfst.“
Zhang überlegte kurz, ob der Koch versehentlich Kakerlaken in der Suppe vermutete oder absichtlich welche mitkochte – es würde das einzigartige Ar oma hier erklären. „Nein, nein, nein“, bestätigte er den Koch. „Die Suppe ist wunderbar“, fügte er hinzu und schaufelte mit den Essstäbchen noch demonstrativ eine gute Portion in seinen Mund.
Dem Koch fiel das Handy mit dem schwarzen Bildschirm auf. „Oh, Handy k aputt“, schloss er, klopfte Zhang auf den Rücken und ging wieder zu seinen Kochtöpfen, wo eine neue Kundin wartete, die der Dialog mit den Kakerlaken offenbar auch nicht störte.
Zhang wandte sich wieder seinem schwarzen Handybildschirm zu und dachte nach. Eine Spezialeinheit – oder Terroristen – war in seine Wohnung eing edrungen. Wieso? Er hatte seit Monaten nichts gemacht, außer Bücher zu lesen. Außer… außer der verschlüsselten eMail an Daniel Dreyer. Natürlich hätte sie irgendwer abfangen können, aber sie hätten sie unmöglich lesen können. Die Solitaire -Chiffre ist nicht zu knacken, nicht einmal für einen Kryptospezialisten wie Zhang. Und selbst wenn – es stand nichts Interessantes darin, nur dass Dreyers nutzlose One-Time Pads wirklich aussehen wie nutzlose One-Time Pads und Zhang ihm leider nicht weiterhelfen kann.
Was aber, wenn diese One-Time Pads in den Tiefen der Datenbanken des MSS ihr Gegenstück gefunden hatten und der chinesische Geheimdienst eine Nac hricht damit entschlüsseln konnte – dann wäre er, Zhang Jin, sicher von Interesse. Und sein Scheitern bei seinem letzten Projekt machte ihn nicht gerade zum Musterangestellten, Musterbürger oder Musterirgendwas – zumindest nicht in den Augen der Obrigkeit. Das musste es sein – außer, Amazon schickte jetzt Spezialeinheiten nach China, um der illegalen Weitergabe von eBooks Einhalt zu gebieten. Das aber hielt Zhang für sehr unwahrscheinlich.
Nein, es musste Daniel Dreyers eMail sein . Die nutzlosen One-Time Pads waren nicht nutzlos, sondern entschlüsselten etwas, etwas so Wichtiges, dass das MSS eine Spezialeinheit schickt, um ihn einzusammeln. So machte die Geschichte ja Sinn – das MSS wusste zwar, dass er die Nachricht und die One-Time Pads erhalten hatte, aber nicht, was er Dreyer geantwortet hatte. Das war natürlich verdächtig. Und wirklich schwer zu erklären, da die Solitaire -Chiffre nur einmal zu verwenden und nur schwer – eigentlich gar nicht – zu replizieren ist. Er könnte dem MSS also selbst dann nicht
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