Die Erben des Terrors (German Edition)
beweisen, dass seine eMail an Dreyer harmlos war, wenn er es wollte – das Verschlüsseln der Nachricht erforderte eine ständige wechselnde Ordnung der Karten in dem Kartenspiel.
Zhang blickte, langsam verzweifelnd, in seine immer noch halbvolle Suppe nschüssel. Erklären schied aus. Seine Wohnung war voller Polizei – oder schlimmer, voller MSS-Agenten. Sein Büro würde sicher überwacht werden, und sein Handy… sein Handy! Zhang sprang auf und rannte zum nächsten Taxi, stieg ein und orderte den Fahrer zum Bahnhof.
Der Bahnhof war nur fünf Minuten entfernt, was den Taxifahrer nicht in übe rschwängliche Begeisterung versetzte, aber für Zhang war es ideal.
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Zehn Minuten später fand es Li Wei, der Taxifahrer, erstaunlich, dass um kurz vor zwanzig Uhr abends der Renmin Lu-Tunnel von Puxi nach Pudong fast leer war. So leer, wie er sonst nie war – wäre da nicht der unverschämte schwarze Van, der kontinuierlich versuchte, ihn zu überholen. Aber Li wäre kein ordentlicher Shanghaier Taxifahrer, wenn irgendein Neureicher mit einem teuren amerikanischen Auto ihn überholen könnte. Insofern trat er einfach aufs Gaspedal.
Im schwarzen Van hinter dem gelb-blauen Taxi fluchte Xi Enlai, der Fahrer, über die Penetranz des Taxifahrers und rief seinen Kollegen Xi Biao am Tu nnelausgang über Funk: „Xi eins für Xi sieben“.
„Xi eins hört“, antwortete der Leiter der Spezialeinheit des chinesischen Mil itärs, der mit fünf schwer bewaffneten Männern am östlichen Ende des Tunnels eine Straßensperre aufgebaut hatte.
„Der Taxifahrer hält sich für Andy Yan, aber ich sehe keinen Passagier.“
„Wer ist Andy Yan?“
Xi Enlai war etwas erstaunt und setzte zu einem Überholmanöver an, das den erwähnten chinesischen Tourenwagenchampion, Andy Yan, neidisch hätte werden lassen. Aber der Taxifahrer gab schlicht mehr Gas, und der schwere Van konnte nicht mithalten. Mit fast 180 Stundenkilometern rasten die beiden Fahrzeuge durch den Tunnel unter dem Huangpu-Fluss. Xi wünschte sich ein Blaulicht oder einen Lautsprecher, aber er hatte beides nicht. Er hoffte nur, dass der Fahrer des Taxis die Straßensperre vor ihm rechtzeitig bemerken würde; sie brauchten den Mann lebend. Und vor allem den Besitzer des Handys, das sich in dem Fahrzeug befand.
Li Wei, der Taxifahrer, begann a n dem kleinen Rennen mit dem schwarzen Van Spaß zu haben. Ein paar Knopfdrücke an dem billigen, in allen Farben blinkenden Autoradio ließen es vor einem gemütlichen chinesischen Neopop-Mix auf La Grange von ZZ Top wechseln, das ultimative Lied für ein Autorennen, wie Li fand. Er drückte das Gaspedal voll durch und überlegte, ob er in der Tunnelausfahrt wohl kurz springen würde, so, wie es die amerikanischen Polizisten im hügeligen San Francisco im Fernsehen machten. Er legte seinen Sicherheitsgurt an.
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Zhang Jin musste nicht lange warten, bis er auf dem Bahnhofsvorplatz von einem Hehler angesprochen wurde. In einer alten, billigen Notebooktasche zeigte ihm der Mann seine Ware, ein nicht mal ein Jahr altes Lenovo Ultrabook, ein flaches, leichtes Notebook mit akzeptabel großem Display, langer Akkulaufzeit und, was das wichtigste war, integriertem UMTS-Modul. Man konnte damit, wenn man eine Handy-Sim-Karte einlegte, direkt ins Internet. Er betrachtete das Gerät in der Tasche zunächst unauffällig und desinteressiert, fragte dann nach dem Preis. Zweitausend Yuan wollte der Mann haben, ein sehr fairer Preis – aber Zhang hatte so viel Geld nicht dabei, wozu auch. „Okay“, sagte er trotzdem, und nahm dem Hehler die Notebooktasche ab, hängte sie sich über seine Schulter und zog seinen Geldbeutel aus seiner Sakkotasche. Er klappte ihn demonstrativ und für den Hehler gut sichtbar auf, löste einen Druckknopf und faltete einen Einleger zur Seite, so dass sein Dienstausweis des MSS sichtbar wurde. In ruhigem Tonfall sagte er „Ministerium für Staatssicherheit, Sie sind wegen Hehlerei festgenommen.“
Er war aber ziemlich sicher, dass der Hehler bereits beim Wort „Staatssiche rheit“ so weit weg war, dass er den Rest des Satzes nicht mehr hörte. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ging Zhang in den nächsten Handyladen, nach dem er nicht lange suchen musste, und kaufte für die letzten zweihundert Yuan, die er in der Tasche hatte, eine Prepaid-Sim-Karte.
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Vom Sonnenlicht leicht geblendet sah Li Wei, der Taxifahrer, die schwarzen Vans, die die Straße blockierten, erst sehr spät. Voll
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