Die Erben des Terrors (German Edition)
interessierte sich für Chruschtschow, der seinen Besuch nicht angekündigt hatte. Sogar für seine engsten Vertrauten verbrachte er nur ein mildes, kühles, aber sonniges Herbstwochenende außerhalb der Hauptstadt. Seinen Angestellten in der Datscha würde sicher auffallen, dass er nicht da wäre, aber wem sollten die es schon erzählen?
Er wies seine Begleiter an, am Auto zu warten – schließlich ging es diese niedrigrangigen Agenten nichts an, was er gleich zu sagen hätte. Aus einem weiteren Wagen dahinter stieg Igor Spasskiy, ein zäher Mann Mitte dreißig, den Chruschtschows Berater in höchsten Tönen gelobt hatten. Bereits in so jungen Jahren war Spasskiy der designierte Nachfolger für den Leitungsposten des Konstruktionsbüros 18, eine der wichtigsten strategischen Planungsabteilungen der russischen Marine. Spasskiy, so wurde Chruschtschow erzählt, war der leitende Ingenieur eines Forschungsprojekts zu nuklear bewaffneten U-Booten, aber dieses Projekt hier war deutlich wichtiger. Insofern hatte Chruschtschow Spasskiy von seinen normalen Aufgaben abgezogen und in ein kleines Büro in der Ukraine gesetzt. In die Nähe einer Werft, die normalerweise Zerstörer für die russischen Marine herstellte. Sie baute aber auch kleinere Boote, beispielsweise Beiboote oder Rettungsboote. Zudem waren die Pläne der Skoryy-Klasse, die hier gebaut wurde, nach Informationen des KGB sowieso schon vor Jahren ins Ausland geleakt worden.
Die Werft mit dem unglaublich komplizierten Namen war prädestiniert für dieses Projekt, bei dem man keine ausländischen Spione haben wollte. Die Werft in Polyarny , in der die großen, interessanten Kriegsschiffe der sowjet ischen Flotte gebaut wurden, wimmelte nur so von westlichen Spionen. Hier hingegen verirrte sich niemand hin. Außer Chruschtschow und Spasskiy, und den zwölf Männern, die in der Halle auf sie warteten.
Spasskiy hielt Chruschtschow die Türe auf, während dieser das Gebäude betrat. Die zwölf jungen Männer, allesamt Unteroffiziere der sowjetischen Marine, schlugen ihre Hacken zusammen und hoben ihre Hand zum Salut. Chruschtschow tat es ihnen gleich, während Spasskiy keine erkennbare Bewegung machte.
„Männer!“, begann Chruschtschow, „Ihr seid heute hier, weil ihr auserwählt wurdet, die Zukunft unserer großen Nation zu sichern.“
Alexander Rybak, in der Reihe der Soldaten der zweite von links, blickte stramm geradeaus, während der Ministerpräsident seine einleitenden Worte sagte. Im Gegensatz zu den anderen Soldaten hatte Rybak bereits die Ehre gehabt, den Vorsitzenden persönlich kennen zu lernen. Das war drei Tage nach dem Anschlag gewesen, als er im Kreml den Orden als Held der Sowjetunion überreicht bekam, mehr oder weniger im Austausch gegen Chruschtschows Lenin-Orden, den dieser ihm auf dem Roten Platz überreicht hatte.
Damals, vor vier Monaten, hatte ihm der Vorsitzende vor den Kameras der Film- und Fernsehleute die Hand geschüttelt, ihn dann enger umarmt und ihm ins Ohr geflüstert, „Junger Mann, auf Sie kommt Großes zu!“ Rybak hatte es damals nicht verstanden. Nach dem Einsatz als Laufbursche für die Admiralität in den letzten Monaten, vor allem aber wenn er sich in dieser Halle umsah, wusste er auch immer noch nicht, was denn daran so „Großes“ sein sollte. Draußen, in den Trockendocks der Werft, wurden Kriegsschiffe gebaut. Aber hier, in dieser Halle, nur kleine Boote.
„Was ihr vor euch seht, sind nicht etwa nur kleine Boote. Kleine Boote, wie die, die normalerweise gebaut werden, dienen dazu , die Überlebenden einer Katastrophe zu retten. Doch die zwölf Boote, die ihr hier seht …“
Alle blickten verwundert. Sie sahen keine Boote, sie sahen nur Metallschalen, ste llenweise nur Metallgerippe.
Chruscht schow setzte unbeirrt fort: „Diese Boote sind die Speerspitze der Verteidigung unseres großen Vaterlandes. Oder zumindest werden sie das sein, wenn sie fertig sind. Einigen von Ihnen kommt es ganz sicher verwunderlich vor, dass sie trotz ihrer großen Verdienste während der letzten vier Monate als Hafenjungen in den Yachtclubs der Admiralität eingesetzt wurden. Ich hoffe aber, dass die Einweisungen in das Segeln mit Yachten und die vielen Manöver in den Häfen in einen Eindruck vermitteln konnten, wie es ist, eine Yacht zu steuern. Denn dies,“, wurde Chruschtschow theatralisch, „wird Ihre Aufgabe im Dienste der sowjetischen Republiken bis an Ihr Lebensende sein!“
Die zwölf jungen Männer konnten ihre
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