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Die Erben des Terrors (German Edition)

Die Erben des Terrors (German Edition)

Titel: Die Erben des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes C. Kerner
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sie waren nach Körpergröße aus verschiedenen Einheiten ausgewählt worden. Die Mannschaftsgrade, zu denen Rybak zählte, wurden an diesem Tag von einem kommandierenden Offizier befehligt, der selbst im U-Boot-Krieg gegen Deutschland enorme Verdienste erworben hatte. Wäre dies nicht absolut unangebracht, Rybak würde eine Träne des Stolzes aus dem linken Auge rinnen.
    In diesem Moment aber kam der Verteidigungsminister ins Blickfeld der streng geradeaus gerichteten Augen des jungen Soldaten, sodass alles außer strengster militärischer Disziplin undenkbar war. Neben dem Verteidigungsminister schritt der Ministerpräsident auf jene majestätische Art, wie sie nur der Herrscher der mächtigsten Nation der Welt einnehmen kann, dachte Rybak.
    Der junge Maat vor ihm war sichtlich nervös, konnte kaum noch strammst ehen. Noch drei Meter, stellte Rybak fest, dann wären die Politiker direkt vor ihnen, zum Greifen nahe. Rybak griff sein vor dem Körper gehaltenes Dienstgewehr stärker und spannte seinen Körper noch fester an, als er sowieso schon angespannt war. Zwei Meter. Der Maat vor ihm fing fast an zu zittern. Rybak dachte daran, wie sich wohl sein Vater gefühlt haben muss, achtzehn Jahre zuvor, als in den Schützengräben mitten im Feindgebiet … Plötzlich verlor der Maat vor Rybak offenbar vollkommen die Beherrschung und machte einen hastigen Schritt nach vorne, nein, er fing an, loszurennen, und schrie etwas für Rybak unverständliches: „DIE“.
    Rybak blinzelte – er hatte sich eigentlich vorgenommen, das nicht zu machen, bis die Politiker an ihm vorüber wären. Aber sein Gehirn benötigte den Moment ohne visuelle Reize, um die Situation zu erfassen: Ein junger Maat läuft laut brüllend auf die höchsten Politiker des Landes zu, mit einer zwar nicht geladenen Waffe, wohl aber mit einem scharfen Bajonett an der Spitze. Das konnte, nein, das durfte nicht sein, beschloss Rybak. Instinktiv tat er das, was jeder anständige Soldat in diesem Moment getan hätte – er sprang aus dem angespannten Stand, mit der ganzen Kraft seines durchtrainierten Körpers, dem Maat hinterher, senkte gleichzeitig sein Bajonett und stieß es wie einen Speer nach vorne, soweit er konnte.
    Die Spitze der auf Hochglanz polierten Klinge erreichte den Maat während eines weiteren Schrittes in Richtung der Politiker, vielleicht eine Sekunde bevor sich die Klinge seines eigenen Bajonetts in den Körper des jetzt nicht mehr allzu majestätisch wirkenden Staatschefs gebohrt hätte. Rybak hatte den Maat genau in der Wirbelsäule getroffen, und die Momentenergie seiner Sprungbewegung wurde von dem empfindlichen Knochen mit einem lauten Knacken quittiert. Dieser Leidensschrei hielt die scharfe Klinge aber nicht davon ab, weiter in die weicheren Teile des Körpers vorzudringen, bis schließlich die Gewehrmündung auf den Rücken des Soldaten traf und ihn vornüber auf den Boden warf.
    •
    Während der Verteidigungsminister einen Schritt zur Seite machte, war der Ministerpräsident stehen geblieben und hatte sich dem Attentäter zugewandt, der mit seinem Gesicht fast auf seinen Schuhen gelandet war. So blickte er direkt in die Augen von Alexander Rybak, der noch nicht ganz überschauen konnte, was gerade passiert war. Rybaks erster Gedanke war, dass er gerade, einen Meter vor den höchsten Politikern seines Landes, einen Soldaten getötet hatte und wahrscheinlich gleich ein Scharfschütze sicherstellen würde, dass alles wieder in Ordnung käme. Der Ministerpräsident schien den gleichen Gedanken zu haben und hob seine rechte Hand in einer so beruhigenden Geste, dass die folgenden Sekunden nichts passierte. Gleichwohl war auch er sprachlos, versuchte aber offenbar, die richtigen Worte zu finden.
    Als ihm dies nach einem für alle unangenehm langen Zeitraum offenbar immer noch nicht gelang, griff er an das Revers seines Jacketts und löste eine n kleinen runden Orden, heftete ihn an die Uniform Rybaks und hob seine Hand zum militärischen Salut. Für Rybak löste dies zwar nicht seine Anspannung und Verwirrtheit, wohl aber eine automatische Reaktion aus – er straffte seinen Körper und erwiderte den Gruß, die Augen zum Himmel gerichtet. Hinter ihm hörte er zwanzigtausend Soldaten das Gleiche tun.
    29 . September 1963
46° 58’ 27.19” Nord, 32° 00’ 37.49” Ost
Werft benannt nach 61 Kommunarden, Nikolajew, Ukraine (Sowjetrepublik)
    Wie an den meisten Sonntagen war die Werft auch an diesem Tag vollkommen menschenleer. Und niemand

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