Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
konzentrierter an als Sonnenwärme. Daheim hatten wir vor ein paar Jahren eine Eidechse gehabt, die in einem kleinen Terrarium unter einer Wärmelampe gelebt hatte – genauso fühlte ich mich jetzt.
Der Weg führte zu einem geröllbedeckten Hang. Glimmer blitzte zwischen den graubraunen Felsen. Über uns lagen die nackten Stufen des Gipfels, die aussahen, als hätten Kinder hastig ein paar Bauklötze aufgeschichtet. Jenseits des Gipfels lag die graue Kuppeldecke. Eine einzelne Leiter mit einem Sicherheitskäfig, farblich an die Wand angepasst, führte an ihr empor. Ab einem bestimmten Punkt wurde sie dann zu einer Treppe und unter dem Kuppeldach zu einem Laufsteg, der bis zum Observatorium führte.
Wir waren jetzt auch hoch genug, um eine gute Sicht auf die riesigen, dreieckigen Paneele zu haben, die hier einen ganz anderen Anblick als bei den Aufzügen boten. Staub war durch ihre Ritzen gedrungen und hatte sie völlig verschmiert, und zwischen den rotbraunen Streifen konnte man ein Spinnennetzmuster dunkler Risse erkennen, das sich in alle Richtungen verzweigte: Strahlenschäden. Selbst die unbeschädigten Paneele wirkten verwittert. Ganz bestimmt war dieser Anblick nicht für die Bewohner von Eden West bestimmt.
Wir überquerten den Hang und erreichten die erste der großen Stufen. Ich war ziemlich außer Atem, doch Lilly schlug sich besser als ich. Der steinerne Vorsprung war lang gestreckt und schmal. Fünf Meter steile Felswände trennten ihn von der nächsten Stufe.
Da fielen mir zwei lange Furchen auf, etwa handbreit und einige Zentimeter tief, die sich zu meinen Füßen bis zur Wand zogen. »Ist das von den Wikingern?«, fragte ich Lilly.
»Glaube ja.« Dann pfiff sie dreimal kurz – ein Erken nungssignal. »Nur falls sie doch da sind«, erklärte sie. »Wir wollen ja nicht einfach reinplatzen. Vielleicht sind sie beschäftigt.«
Wir warteten, doch es kam keine Antwort.
An der linken Seite der Wand befand sich ein enger Spalt. Lilly glitt hinein und kletterte nach oben, indem sie sich mit den Fingern an kleinen Vorsprüngen festhielt und mit den Füßen beiderseits abstützte. Ich begab mich unter ihr in Position. Die Luft in der Spalte war stickig und roch nach heißem Fels. Voller Selbstzweifel begann ich zu klettern und hasste mich dafür, mir wieder wegen allem Sorgen zu machen. Prompt rutschte ich ab und schürfte mir das Knie auf.
»Alles klar bei dir?«, rief Lilly zu mir herab.
»Alles klar«, murmelte ich. Ich musste mich konzentrieren! Es war ja nicht so, dass ich jetzt wieder zur Schildkröte wurde. Ich war bloß eine Libelle, die sich verwandelte. Also biss ich die Zähne zusammen und begann von vorn. Diesmal gelang mir die Kletterpartie.
Auf der zweiten Steinstufe befanden sich ebenfalls Wikingerlinien. Sie führten genau dort weiter, wo die unter uns aufgehört hatten.
Lilly blieb vor einem überhängenden Felsen stehen, unter dem tiefer Schatten herrschte. »Jemand da?«, rief sie hinein.
Ein kurzer Moment der Stille, dann kam eine Antwort – doch es war weder Marco noch Aliah.
»Wer ist da?«, flüsterte eine Stimme.
»Wer bist du denn?«, erwiderte Lilly.
Da legte ich ihr die Hand auf die Schulter. »Warte mal.« Die Stimme kam mir irgendwie bekannt bevor. Ich trat in den Schatten. »Dr. Maria?«
2O
Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Dr. Maria saß mit dem Rücken zur Wand in der niedrigen Höhle. Vor ihr befand sich eine kleine Feuerstelle aus aschebedeckten Steinen.
Sie trug eine schwarze Jacke, Jeans und schwere braune Stiefel, alles voller Staub, genau wie ihr Haar, das ganz durcheinander war. Neben ihr stand ihr Rucksack, und darauf lag ihr Arztkoffer.
Vor ihr, den Kopf auf ihrem Schoß, lag der Nomade, der vor zwei Tagen den Anschlag am Tor durchgeführt hatte. Sein Gesicht war völlig verquollen. Alte Schwellungen und Schnitte hatten sich zu einem fauligen Braun vereint. Die restliche Haut hatte einen blassen Grauton angenommen. Seine Augen waren geschlossen.
»Sein Name war Carlo«, flüsterte Dr. Maria. Sie strich ihm übers Haar, nur dass das Haar sich nicht bewegte. Es wirkte feucht, doch ihre Hand erzeugte ein kratzendes Geräusch darin. Um Ohr und Schläfen hatten sich burgunderrote Krusten gebildet, und sein Kragen war blutbefleckt. »Heute früh ist er gestorben. Mir war klar, dass es ihm schlecht ging, aber er konnte immer noch laufen und reden, und ich dachte, wenn wir einfach nur weit genug fliehen …« Ein leises Schluchzen
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