Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Kabine und nach draußen.
›Wohin willst du denn?‹ Lilly schwamm mir hinterher. Klang sie verärgert?
Vielleicht schon. Aber die Sirene … sie war keine Einbildung. Da war ich mir jetzt ganz sicher, und ich musste sie sehen. Ich schwamm übers Schiff, bis ich auch die andere Seite des Rumpfs im Blick hatte.
Nur Dunkelheit.
Lilly kam an meine Seite. ›Owen, was ist eigentlich los?‹
›Ich habe etwas gesehen.‹ Doch da war nichts – ich kam mir vor wie ein Idiot. Hatte ich mir selbst etwas vorgemacht, weil ich zu viel Angst hatte?
Moment mal – da war es wieder, doch ganz weit draußen, fast nicht zu sehen. Ich zeigte mit dem Finger in die Richtung. ›Siehst du?‹
Lilly starrte angestrengt ins Dunkel hinaus. ›Was soll ich sehen?‹
›Das … das Ding da.‹ Das Licht war zwar kaum zu erkennen, doch es war eindeutig die Sirene in ihrer geisterhaften Menschengestalt, leuchtend blau, die gerade davonschwamm. ›Siehst du sie nicht?‹ Ich schwamm ihr hinterher.
›Sie?‹ Jetzt klang sie eindeutig verärgert. ›Okay, ich habe keine Ahnung, was du meinst. Wo willst du hin?‹
Das Licht war schon fast außer Sichtweite. Es schien aus gar nichts anderem als Licht zu bestehen, als wäre es kein fester Gegenstand. Wir mussten uns beeilen, wollten wir es noch einholen.
Das Älteste wird wieder neu. Das Verlorene wird gefunden.
›Da!‹, rief ich. ›Hast du gehört?‹
Sie runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. ›Keinen blassen Schimmer, wovon du da redest.‹
Die Sirene war beinahe verschwunden.
Komm zu mir.
›Schnell, wir müssen ihr folgen.‹ Ich schwamm los.
›Owen! Wem müssen wir folgen?‹
›Dem Ding, der Sirene. So nenne ich sie – oder es … ist auch egal. Los komm!‹ Ich schoss los, kämpfte mich so schnell ich konnte durchs Wasser. Als ich mich das nächste Mal umdrehte, war Lilly immer noch am Schiff und schon fast nicht mehr zu sehen. ›Komm mit!‹, rief ich noch einmal.
Keine Antwort. Ich schaute wieder nach vorn. Die Sirene war vielleicht schon etwas näher, doch immer noch nur undeutlich zu erkennen. Wenn ich jetzt anhielt, würde ich sie verlieren.
Komm zum Tempel.
Ich konnte kaum glauben, was ich da gerade tat – dass ich Lilly ausgerechnet jetzt zurückgelassen und mir damit wahrscheinlich jede Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft verbaut hatte, aber sie konnte mir ja folgen, wenn sie wollte. ›Ich bin gleich zurück!‹, rief ich noch, dann schwamm ich wieder so schnell es ging.
Ich glitt durchs Wasser. Die Sirene war immer noch fern. Hinter mir war Lilly von der Dunkelheit verschlungen worden.
Vorwärts. Immer weiter, wie ein Messer im Wasser. Ich holte weiter auf und konnte mittlerweile auch wieder die Umrisse der Sirene ausmachen. Obwohl das blaue Licht gedämpft und unstet war, glaubte ich doch Arme und Beine darin zu erkennen und sogar den Schweif ihres Haars. Sie schwamm einen eleganten Delfinstil.
Meine Muskeln begannen zu brennen, und ich spürte einen dumpfen Schmerz in meinem Bauch. Doch sie war dicht vor mir, flackernd und geisterhaft, und ich spürte mit absoluter Gewissheit, dass ich ihr folgen musste. Selbst wenn ich Lilly zurückließ … Das hier war wichtig. Dieses Wesen kannte mich und hatte mir etwas mitzuteilen. Etwas über … alles. Da war ich mir ganz sicher.
Minuten vergingen, vielleicht auch eine halbe Stunde, ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich sie langsam aber sicher einholte.
›Was bist du?‹, rief ich, bekam jedoch keine Antwort.
Stattdessen konnte ich ein tiefes Brummen hören, ein fernes Dröhnen wie von Maschinen. Es erfüllte das Wasser, doch die Stimme der Sirene schien sich direkt in meinem Kopf zu befinden. Sie klang warm und irgendwie elektrisch. Das Älteste wird wieder neu. Das Verborgene soll enthüllt werden. Die Wahren gedenken der Geheimnisse.
Ich kämpfte mich weiter voran und versuchte, zu ihr aufzuschließen. Vor uns begannen sich Formen abzuzeichnen. Ich war jetzt etwa zehn Meter hinter ihr, und noch einmal zwanzig Meter weiter befand sich eine vertikale Fläche – eine Wand. Etwas näher noch, dann sah ich, dass sie aus Beton war. Hatten wir die Kuppelwand erreicht?
Felsen tauchten in der Tiefe auf. Der Grund des Sees stieg langsam an. Vor uns in der Wand, auf halbem Weg zwischen Oberfläche und Grund, zogen sich zwei Reihen großer, runder Öffnungen entlang, von Ringen gelber Lichter gesäumt. Ich war auf einer Höhe mit der oberen Reihe und spürte den Druck, der mir aus
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