Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
»Komm.«
Wir gingen zurück ans Ufer. Im seichten Wasser blieb ich kurz stehen. Wir waren am Rand der Bucht, an der sich unser Lager befand. Vor uns erstreckte sich der See in ganzer Breite. Fern am anderen Ufer, mehrere Kilometer entfernt, lag Eden West City, Türme mit blinkenden Lichtern, smaragdgrün und bernsteinfarben. Ich hatte Fotos der alten Technopolen mit ihren meilenlangen Skylines gesehen und auch die der neueren, bescheideneren Städte im Norden, wie Baffin City, Yellowknife, Helsinki Island und New Murmansk. Eden West war wahrscheinlich nicht annähernd so groß, doch für jemand wie mich, der sein ganzes Leben in einer Welt unter der Last tief hängender Felsdecken zugebracht hatte, war der Anblick dieser hochgewachsenen Türme und die Vorstellung, dass Menschen einst so frei über den Himmel verfügten, dennoch faszinierend.
»Da drüben liegt Nimmerland«, sagte Lilly.
»Hm?« Ich verstand die Anspielung nicht, doch sie führte es nicht weiter aus. »Ist es denn wirklich so schön dort?«
»Wenn du wie Evan damit zufrieden bist, dein kleines Leben zu führen und dir einzureden, dass alles in bester Ordnung ist, während der Rest der Welt vor die Hunde geht.«
Mein Lachen blieb mir im Hals stecken, denn ich sah, wie ernst es ihr war.
»Natürlich ist nicht alles schlecht. Es gibt Museen und ein großes Freizeitangebot, Sport, Shows und Wettbewerbe, einen Haufen Geschäfte, die die Mode aus dem Norden führen, SensaStraßen aus Hyperziegeln, die sich mit dir synchronisieren und dich beim Spazierengehen mit Werbung und deinem eigenen Soundtrack versorgen … Meistens bin ich aber nur im Kryo-Haus. Man kommt nicht so viel rum ohne Eltern, die einen mitnehmen.« Sie zitterte leicht, als wäre ihr kalt. Beinahe hätte ich da meinen Arm um sie gelegt, doch ich war mir nicht sicher, ob das okay gewesen wäre. Woher sollte man so was auch wissen? Sollte man fragen? Offenbar wurde von einem erwartet, es einfach zu wissen .
»Schwimmen wir«, sagte sie, und da war meine Chance vorbei.
Wir tauchten in Bodennähe, bis wir wieder zehn Meter Tiefe erreichten und mir die Ohren schmerzten. Dann machte Lilly die Lampe an, wir lösten uns vom Boden und schwammen in die Dunkelheit hinaus, den suchenden Lichtstrahl vor uns gerichtet. Unsere Augen verrieten uns zwar nicht mehr, wo oben und unten war, aber es gab andere Hinweise, wie die Schwankungen des Drucks und der Temperatur, die es einem verrieten, wenn man nur aufmerksam war.
Lillys Lichtstrahl fiel auf etwas Helles. Sie wartete, bis ich neben ihr war, und richtete ihn dann nach unten. Ich zuckte zusammen – da waren Augen unter uns, groß und schwarz … Ein Fisch. Ein großer Fisch, der sich kaum bewegte, sondern träge in der Dunkelheit trieb. Sein Körper wirkte kränklich pfirsichfarben, wie totes Fleisch, mit einem stumpfen, kohleschwarzen Fleckenmuster aus un vollständigen Streifen. Ein massiger Kopf auf einem fetten Körper. Langsam wedelte er mit den Flossen.
›Was ist das?‹, fragte ich.
›Ein Zombiekoi. So nennen wir sie zumindest.‹
›Echt eklig.‹
›Als sie die Station gründeten, dachten sie sich wahrscheinlich, es wäre ganz nett, wenn es im See ein paar hübsche Fische gäbe, wie in einem asiatischen Garten, also haben sie ein paar Koi und andere Fische ausgesetzt. Ir gendwann aber haben die Koi die anderen Fische verdrängt. Entweder sie haben sie gefressen oder die Pflanzen kaputtgemacht, von denen sich die anderen ernährten.‹
›Ich hab die künstlichen Pflanzen gesehen, die es jetzt hier gibt.‹
›Genau – und weil es nie richtig Winter und der See nie sehr kalt wird, sind die Koi einfach immer größer und fetter geworden. Daraufhin hat Eden ein paar Barsche ausgesetzt, damit sie die kleineren Kois fressen, die Koi und die Barsche aber standen wohl aufeinander, und dabei rausgekommen sind diese Mutantenzombiekois. Jetzt fressen die Kois die Barsche.‹ Lilly grinste mir zu. ›Es gibt einen Haufen seltsamer Wesen in diesem See.‹
›Was du nicht sagst.‹
›Aber keine Angst: Sie sehen zwar unheimlich aus, sind aber ziemlich blöde.‹
Der schimmernde Fisch schwebte noch immer in unserem Lichtkegel. Er drehte sich langsam, bis er uns das andere Auge zuwandte, dann beschloss er offenbar, dass wir nicht essbar waren, und glitt davon ins Dunkle.
Auf unserem Weg sahen wir noch ein paar andere Zombiekois im trüben Wasser. Fast taten sie mir leid: Dieser See, ja die ganze Kuppel, all das kam mir immer mehr wie
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