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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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klar, dass du vieles von dem, was du zu mir sagst, nicht so meinst.«
    Einige Wochen vor dem errechneten Geburtstermin des Babys bat Ollie Percy, ihn nach Dallas zu begleiten, wo er sich eine Prothese anpassen lassen wollte, die erste ihrer Art. »Ich würde ja den Zug nehmen«, erklärte er, »aber der ist ziemlich unbequem und obendrein unzuverlässig. Mary mag ich nicht fragen, weil sie bis zum Hals in Arbeit steckt. Natürlich würde sie alles liegen und stehen lassen, doch das muss nicht sein, und außerdem …« Er deutete auf sein nach hinten gestecktes Hosenbein. »… ziehe ich unter den gegebenen Umständen deine Gesellschaft vor.«
    Percy spürte, wie sich Ressentiments gegen Mary in ihm regten. Es ärgerte ihn, dass Ollie sich in einer solchen Situation zugunsten der Plantage zurücknahm. Mary und ihre verdammte Baumwolle! »Was ist mit Matthew, wenn wir weg sind?«
    »Kein Problem. Sassie liebt den Kleinen wie ihren eigenen Sohn.«
    Wenig später erzählte Percy Lucy von Ollies Bitte. Seit ihrem letzten Gespräch schienen sie besser miteinander auszukommen. Er wusste, dass sie schreckliche Angst vor der Geburt hatte, und teilte diese. Da sie selbst nicht gerne las, holte er Bücher darüber aus der Bibliothek und las ihr abends im Wohnzimmer laut daraus vor. Sie lauschte aufmerksam und unterhielt sich anschließend mit ihm über das Thema, ganz ohne Feindseligkeit.
    Doch der Waffenstillstand war labil, und Percy hatte ein schlechtes Gewissen, als er sie fragte, ob es ihr etwas ausmache, wenn er sie in dieser schwierigen Zeit allein lasse. Wie üblich überraschte sie ihn.
    »Begleite ihn ruhig, Percy. Du kennst den Grund, warum Ollie nicht mit dem Zug fahren will, oder?«
    Er musste gestehen, dass er es nicht tat. »Weil … Wie lange wart ihr gemeinsam von New Jersey hierher mit dem Zug unterwegs?«
    »Ungefähr sechs Tage.«
    »Kannst du dir vorstellen, wie Ollie sich gefühlt haben muss bei der Aussicht, mit nur einem Bein nach Howbutker zurückzukehren? Kein Wunder, dass er Züge hasst. Ja, du solltest ihn chauffieren. Ich komme schon zurecht. Deine Eltern kümmern sich um mich, aber wir warten auf jeden Fall auf dich.« Ihr Lächeln erinnerte ihn an die Lucy von früher, wie so vieles in letzter Zeit. Diese Veränderung schien dem aufrichtigen Wunsch nach einer echten Freundschaft mit ihm zu entspringen.
    »Danke, Lucy«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln. »Ich bin so schnell wie möglich wieder da.«
    Obwohl Percy Ollie in Abels geräumiger neuer SechsZylinder-Packard-Limousine chauffierte, war die Fahrt zum
Kriegsveteranenhospital in Dallas lang und wegen der Hitze anstrengend. Ollie hatte ein hochrotes Gesicht, als sie den Eingang erreichten. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und durchnässte seinen Hemdkragen, und das Aussteigen fiel ihm sichtlich schwer. Als ein Pfleger mit Rollstuhl herannahte, winkte Ollie ab und klemmte die Krücken unter seine kräftigen Arme. »Los geht’s, Percy«, sagte er und folgte dem Angestellten mit dem leeren Rollstuhl.
    Nach dem schier endlosen Ausfüllen von Aufnahmeformularen begleitete ein Pfleger mit Ollies Krankenblatt unter dem Arm ihn zum Untersuchungszimmer, das sich am Ende eines langen Flurs befand. Ollie wirkte sichtlich erschöpft. »Lass dir Zeit, alter Junge«, beruhigte ihn Percy, der neben ihm herging. »Es sind nur noch ein paar Meter.«
    Kurz vor dem Ziel keuchte Ollie: »Percy, ich spüre das Bein wieder. Vielleicht sollte ich doch lieber den Rollstuhl nehmen.« Aber es war schon zu spät; er kippte mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorn. Krücken und Klemmbrett mit Krankenblatt fielen klappernd auf den Boden, als der Pfleger und Percy versuchten, ihn aufzufangen. Der Pfleger lief los, um eine Tragbahre zu holen, während Percy Ollies Krawatte lockerte und die obersten Knöpfe seines Hemds öffnete. Seine Hände begannen zu zittern, als er seinen Freund hilflos daliegen sah wie seinerzeit im Granatenhagel. »Nun mach kein solches Gesicht«, sagte Ollie mit grimmigem Lächeln. »Das passiert manchmal, und dann bin ich nur noch ein Häufchen Elend. Dauert nicht lange. Um eines würde ich dich allerdings bitten: Stell einen ordentlichen Scotch für mich bereit, wenn sie mich hier rauslassen.«
    »Wird gemacht, und wenn ich ihn selber brennen muss«, versprach Percy.
    Dann hievten zwei Pfleger Ollie auf eine Tragbahre. »Könnten Sie seine Krankenakte mitnehmen, Sir?«, bat einer
von ihnen Percy, während er die Griffe der Bahre umfasste.

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