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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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Sohn nicht zurückbringen, aber sie verschafften ihm zumindest neue Erkenntnisse. Er stellte fest, dass Wyatt keineswegs so beschränkt war, wie er angenommen hatte – darauf hatte auch Sara ihn wiederholt hingewiesen. Wyatt musste sich jede kleinste Information mühsam aneignen, konnte sich jedoch, sobald er das Wissen geschluckt und verdaut hatte, auf sein
perfektes Gedächtnis verlassen – eine Fähigkeit, erklärte Percy ihm, über die nur wenige Menschen verfügten. Lucy freute sich über dieses unerwartete Lob für ihren Sohn, Wyatt hingegen tat es, typisch für ihn, achselzuckend und gleichmütig ab.
    Wyatt spielte weiter Football und blieb die letzten beiden Jahre seiner Highschool-Zeit Kapitän seiner Mannschaft. Matthews Spielernummer trug niemals mehr jemand von der Howbutker High. Sein Trikot erhielt auf Anregung der DuMonts Wyatt, der es, das wusste Percy, mit dem Baseball-Handschuh und einer Ausgabe von Huckleberry Finn , einem Geschenk Matthews zu seinem dreizehnten Geburtstag, an einem geheimen Ort aufbewahrte. Die Widmung in dem Buch, deren Inhalt er seinen Eltern nicht verriet, hatte Wyatt damals zum Lachen gebracht. Nach Matthews Tod hatte es Zeiten gegeben, in denen Percy sich am liebsten in Wyatts Zimmer geschlichen hätte, um nach Erinnerungsstücken an seinen Erstgeborenen zu suchen, das Trikot einen Augenblick lang zu halten und die einzigen Zeilen in Matthews Handschrift zu lesen, die seines Wissens in seinem Haus existierten.
    Aber er tat es nicht. Er begnügte sich damit, bei Football-Matches zuzusehen, wie »Bull« Warwick Lücken in die gegnerische Abwehr schlug, und fragte sich, ob Wyatt dabei jemals die Präsenz seines Bruders Matthew spürte. Jedenfalls gewann das Team der Howbutker High in jenem Jahr seine erste Staatsmeisterschaft.
    Der Ort war völlig aus dem Häuschen. Überall in Howbutker fanden Siegesfeiern statt, im Clubraum von Warwick Industries die größte überhaupt. Alle, die zur Verwirklichung des Traums von der Meisterschaft beigetragen hatten, kamen – nur nicht Wyatt. Seine Mutter hatte sich mittlerweile an diese unerwarteten und unangekündigten Abwesenheiten ihres Sohnes gewöhnt. Er galt allgemein als Einzelgänger
und zog die Einsamkeit dem Umgang mit seinen geselligeren Mannschaftskameraden und Mädchen vor, die ihn anschmachteten. Obwohl Wyatt beliebt war, bemühte sich niemand um seine Freundschaft, und seit Matthew hatte er keinen echten Kumpel mehr gefunden.
    »Geh ihn suchen, Percy«, bat Lucy ihren Mann am Abend der Feier. »Ich möchte ihn dabeihaben. Er soll sich auch an dem ganzen Trara freuen. Ohne ihn wäre die Meisterschaft nicht möglich gewesen.«
    »Sorg dafür, dass alle hierbleiben, bis wir da sind. Ich glaube, ich weiß, wo er steckt«, sagte Percy.
    Und das war wieder etwas, das Percy sich nicht erklären konnte. Nach dem väterlichen Fausthieb in der Hütte hätte der Junge diesen Ort Percys Meinung nach scheuen müssen wie der Teufel das Weihwasser. Doch Wyatt hatte sie Matthew gezeigt, und sie war in den Jahren ihrer Freundschaft zu ihrem Rückzugsort geworden, ähnlich wie jetzt für William Toliver und seine Freunde.
    Nach Matthews Beerdigung hatte sich Wyatt zwei Tage lang in der Hütte verkrochen. Obwohl es nun kühler war als damals, fand Percy ihn, wo er ihn vermutete – draußen auf dem See, im Ruderboot, über seine Angelrute gebeugt, ähnlich wie seinerzeit. Und wie das letzte Mal stemmte Percy die Hände in die Hüften und wartete darauf, dass Wyatt ihn bemerkte. Dabei war er sich der vertanen Jahre bewusst, die er genauso wenig wiedergutmachen konnte, wie es ihm gelingen würde, auf dem schimmernden Pfad, den der Mond aufs Wasser zeichnete, zu ihm zu wandeln.
    Nach einer Weile wandte Wyatt sich in seine Richtung. »Hast du was gefangen?«, rief Percy ihm zu.
    »Nein, zu kalt«, rief Wyatt zurück und holte die Angelschnur ein. Percy hörte den Köder mit leisem Platschen im See landen und beobachtete, wie Wyatt ordentlich Rute und
andere Utensilien einpackte, die Ruder aufnahm und sich in die Riemen legte.
    Da tauchte ein Bild vor seinem geistigen Auge auf.
    »Percy?«
    »Ja, Lucy?«
    Er glaubte, die Stimme seiner Frau zu hören, wie sie ihn an jenem Abend in der Bibliothek gebeten hatte, Wyatt zu suchen. Sie war im Mondlicht stumm vor ihm auf die Knie gegangen und hatte die Hände auf seine Knie gelegt. »Du sitzt seit zwei Tagen hier, Percy. Es ist schon wieder Nacht.«
    Wieder? Was für ein Unsinn! Seit Matthews Tod

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