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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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»Miss Rachel, wir hatten ja keine Ahnung, dass Sie kommen würden!«, rief sie aus und drückte sie so fest an ihren Busen, dass sie Rachel fast den Atem benahm. »Mein Gott, sind Sie groß geworden!«
    Die überschwängliche Begrüßung lockte vertraute Schritte aus der Bibliothek heran. »Was ist los, Sassie?«
    »Jemand, über dessen Besuch Sie sich sehr freuen werden, Miss Mary.«
    Als Sassie beiseitetrat, sah Rachel ihre inzwischen dreiundsiebzigjährige Großtante. Trotz ihrer silbern glänzenden Haare und ihres faltigen Gesichts war sie noch immer die elegante und attraktive Frau, an die Rachel sich erinnerte. Hinter ihr erschienen Percy, der mit seinen achtundsiebzig Jahren nach wie vor eine imposante Erscheinung bot, der zweiundzwanzigjährige Matt und der stets Lincoln-ähnliche Amos. Tante Mary breitete die Arme aus. »Ach, Kind, du bist gekommen«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Was für eine Freude.«
    In diesem Moment wurde Rachel klar, dass die Rückkehr nach Howbutker ein Fehler gewesen war. Nun würde sie Kermit nie wieder ihr Zuhause nennen können. Das hier war ihr Zuhause – dieses Haus, diese Straße, dieser Ort, diese Menschen. Sie liebte ihre Familie, aber ihr Platz war bei Mary, deren Blut in ihren Adern floss und deren Leidenschaft sie teilte. »Ich bin auch froh, da zu sein«, sagte sie und ließ sich von ihrer Großtante umarmen.
     
    Das Klingeln des Telefons im Vorzimmer riss Rachel aus der Erinnerung an dieses Wiedersehen. Nach der Beisetzung war ihr Vater ohne sie im Firmenflugzeug nach Kermit zurückgekehrt. Und im Herbst hatte sich Rachel an der Texas A & M University in College Station eingeschrieben, nur zwei Stunden Fahrt von Howbutker entfernt, wo sie fortan die Wochenenden und Sommer verbrachte und Tante Mary half, Gemüsesorten in Somerset zu pflanzen und die neuen Techniken anzuwenden, die sie an der Uni lernte. Vier Jahre später hatte sie als Jahrgangsbeste ihren Abschluss in Agrarwissenschaften gemacht, in der Hoffnung, ganz in Howbutker zu leben und den Gemüseanbau zu überwachen, während ihre Tante sich ihren Baumwollinteressen in anderen Teilen des Landes widmete. Doch Mary hatte anderes mit ihr vor. Vielleicht war für Somerset die große Zeit der Baumwolle vorbei, nicht aber für die Pflanzerdynastie der Tolivers. Mary sorgte dafür, dass Rachel das Geschäft von der Pike auf lernte, von einem der alten Hasen der Plantage, der den westlichen Teil des Unternehmens in Lubbock, Texas, führte und dessen Stelle Rachel übernehmen sollte, sobald er in den Ruhestand ginge.
    Rachels Mutter verzieh ihr den Vertrauensbruch nicht, obwohl Rachel die Familiengeheimnisse bewahrte, und so erfuhr ihr Vater nie die Gründe für ihre Entfremdung. Er akzeptierte ohne Verbitterung, dass seine Tochter, »die einzige echte Toliver«, irgendwann den Familienbesitz übernehmen sollte.
    Rachel stand vom Schreibtisch auf, wischte sich die Augen mit einem Papiertaschentuch ab und öffnete die Tür. Danielle, ihre Sekretärin seit vielen Jahren, sprang auf, um Rachel ihr Beileid auszusprechen, und der treue Ron legte einen Arm um ihre Schultern. Sie würde die Führung von Toliver Farms West vorübergehend in kompetente Hände legen. »Wir werden
uns eine Weile nicht sehen«, erklärte sie, »weil ich die Geschäfte erst einmal von Howbutker aus leite, aber ihr wisst, wo ihr mich erreichen könnt, wenn ihr Fragen habt.«
    »Sie kommen also nicht gleich zurück?«, fragte Danielle.
    »Nein, Danielle, es sei denn, unvorhergesehene Umstände zwingen mich dazu.«

VIERUNDFÜNFZIG
    W illiam Toliver nahm mit einem Glas Eistee auf seiner kleinen Terrasse Zuflucht vor dem eisigen Schweigen seiner Frau. Nun war der Tag da, vor dem er jahrelang Angst gehabt hatte, und seine Hoffnungen, seine Frau und seine Tochter würden sich vor dem Tod von Tante Mary versöhnen, waren nicht erfüllt worden. Ein Teil von ihm freute sich darüber, dass Rachel in Marys Fußstapfen treten würde. Ihm als Toliver bedeutete das viel, auch wenn es Alice zum Wahnsinn trieb. Und er wäre lieber ohne sie, nur mit Jimmy, nach Howbutker gefahren, weil er sich vor der Szene fürchtete, die es unweigerlich geben würde, wenn Amos das Testament verlas und Alice damit bestätigte, dass Rachel ihrem Vater die Aussicht auf ein besseres Leben geraubt hatte.
    Er seufzte. Ein anderer Teil von ihm bedauerte, wie von Alice prophezeit, dass er Rachel im Sommer 1966 nach Howbutker mitgenommen hatte. Seit damals war seine Familie

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