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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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dir reden …«
    »Was ist los?«
    »Liebes …« William rückte einen Stuhl heran und ergriff ihre Hand. »Dein Onkel Ollie. Er ist heute Morgen gestorben, an einem Herzschlag. Ich fahre nach Howbutker. Zack lässt mich ein paar Tage von meinem Jahresurlaub nehmen, damit ich zur Beerdigung kann.«
    Rachel traten Tränen in die Augen. Onkel Ollie tot? Sie hatte ihn drei Jahre lang nicht mehr gesehen und von den Erinnerungen gezehrt. »Wie geht’s Tante Mary?«
    »Das weiß ich nicht so genau. Amos hat mich angerufen. Er sagt, Tante Mary wirkt … verloren.«
    Rachel zog das Aufnahmeformular aus der Schreibmaschine
und schob es in ihre College-Mappe. »Ich begleite dich«, erklärte sie. »Das Packen dauert nicht lange. Wir nehmen meinen Wagen, der ist bequemer als deiner.«
    Ein panischer Ausdruck trat auf Williams Gesicht. »Ich glaub, das ist keine gute Idee, Häschen. Deine Mutter braucht dich hier …«
    »Wozu?«
    William schluckte und zuckte mit den Achseln. »Na ja, warum eigentlich nicht? Tante Mary freut sich sicher über deinen Besuch, und …« Er hob seine verkrüppelte Hand. »… wir könnten uns beim Fahren abwechseln. Weißt du, deine Mutter wollte dich nie mit Tante Mary teilen müssen.«
    »Diesmal hat sie bestimmt nichts dagegen.« Alice schuldete Rachel noch etwas, so viel stand fest. In den drei Jahren der Trennung von den Menschen und dem Ort, den sie liebte, hatte Rachel klaglos die geistlos-pubertären Highschool-Aktivitäten ertragen, jegliches Interesse an der Landwirtschaft verleugnet und ihr Versprechen gehalten, ihrem Vater die Gründe für ihre überraschende Wendung um hundertachtzig Grad nicht zu verraten. Anfangs hatte er sich gewundert, nach einer Weile jedoch die Erklärung ihrer Mutter hingenommen, Rachel habe einfach gemerkt, wie attraktiv sie sei. Er kam nicht auf die Idee, dass Alice verantwortlich sein könnte für die Tränen, die Rachel vergoss, und glaubte ihr, wenn sie behauptete: »Ach, das sind nur die Hormone.«
    »Du machst einen Riesenfehler, Rachel«, warnte Alice ihre Tochter beim Packen.
    »Ich werde nicht lange weg sein, Mama.«
    »Und was ist mit unserer Abmachung?«
    »Mein Gott, ich fahre doch nur zu Onkel Ollies Beerdigung. Das ist kein Verstoß gegen unsere Abmachung.«
    »Dort lockt die Baumwolle.«
    Bei der Fahrt, während derer ihr Vater neben ihr vor sich
hin döste, überlegte Rachel, wie ihr Empfang nach der langen, nur dürftig erklärten Abwesenheit von der Houston Avenue ausfallen würde. Tante Mary und Onkel Ollie hatten den Kontakt telefonisch und brieflich aufrechterhalten – anfangs deutlich intensiver als Rachel – und ihr von der Plantage, vom Ort, von Sassie, Mister Percy und Amos berichtet und hin und wieder Matt erwähnt. Der war nach seinem College-Abschluss wieder in Howbutker und machte sich mit den zahlreichen geschäftlichen Interessen seines Großvaters vertraut. Rachel vermutete, dass er mittlerweile noch attraktiver war, gesittet und kultiviert, ganz anders als die Landlümmel, die auf der Highschool versucht hatten, sie zu begrapschen, und ihr den Spitznamen »Eiskönigin« gaben, als ihre Bemühungen fruchtlos blieben. Tante Mary und Onkel Ollie hatten auch Pakete mit Kleidung für sie und Jimmy geschickt, aus Onkel Ollies Warenhaus mit den vergoldeten Handläufen und Kristalllüstern. Doch im Lauf der Zeit waren die Anrufe weniger geworden und die Briefe seltener, hauptsächlich deshalb, weil Rachels Schilderungen ihrer neuen Interessen immer ein wenig gelangweilt und kühl klangen. Rachel glaubte, die beiden davon überzeugt zu haben, dass sie die Sehnsucht nach Ersatzgroßeltern hinter sich gelassen hatte und ihre Begeisterung für die Landwirtschaft, ihre Familientradition und Somerset eine flüchtige Teenagerlaune gewesen war.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Von wegen! Rachel hatten die beiden in den drei Highschool-Jahren sehr gefehlt. Und jetzt würde sie Onkel Ollie, der sie seinerseits nicht vergessen hatte, nicht mehr sagen können, wie wichtig er ihr gewesen war. Er hatte ihr zum Schulabschluss den Wagen geschenkt, den sie nun fuhr, einen schnittigen roten Ford Mustang, Baujahr 1973, direkt vom Händler.
    Trotz dieses großzügigen Geschenks erwartete Rachel einen
kühlen Empfang. Tante Mary verzieh ihr vielleicht noch ihr Verhalten ihr selbst gegenüber, aber nicht das gegenüber Onkel Ollie.
    Als die vertraute Veranda auftauchte, wurde ihr mulmig. Sassie, die die Tür öffnete, machte große Augen.

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