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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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dass ein Grundbesitzer alles kontrollieren solle, vom Umgang eines Pächters mit seiner Frau bis zu dem mit seinem Pferd.
Sein Sohn widersprach dieser Auffassung und bezeichnete ihn selbst sowie das Pachtsystem als übel und despotisch. Vernon Toliver erklärte, er sehe nichts Übles in einem Grundbesitzer, der sein Land gegen einen Teil der Ernte einem Mann überlasse, welcher sich selbst keine Farm leisten könne. Übles ergebe sich aus diesem Arrangement nur dann, wenn der Mann für seine Arbeit nicht gerecht bezahlt werde und der Landbesitzer nicht die im Vertrag vereinbarte Ausstattung bereitstelle. Er sei nicht verantwortlich für die Machenschaften anderer Pflanzer und könne auch den Missbrauch des Pachtsystems nicht beheben, sondern lediglich mit gutem Beispiel vorangehen. Ob Miles denn nicht erkenne, dass die Pächter von Somerset die bestgekleideten, -genährten, -untergebrachten und -behandelten weit und breit seien?
    Miles argumentierte, die Pächter seien noch immer de facto Leibeigene. Es müsse ein Gesetz geben, das ihnen das Recht gebe, ihre Pacht gegen den Wert des Grundes aufzurechnen, den sie bewirtschafteten. Wenn er dann abbezahlt sei, würden sie eine lebenslange Nutzungsgebühr an den Landbesitzer entrichten.
    Mary hatte beobachtet, wie ihr Vater bei solchen Diskussionen blass geworden war.
    Nun erging es ihr bei dem Gedanken daran, dass Miles den Pächtern tatsächlich mehr Freiraum lassen könnte, ähnlich wie ihrem Vater. Bis zur Ernte war es weniger als ein Monat, und sie brauchten jeden Cent für die Hypothekenzahlungen. Mary hätte gern mit dem Aufseher gesprochen, aber Miles war jeden Tag mit dem Einspänner unterwegs, so dass nur noch eine betagte Stute im Stall stand, die sich nicht für den langen Ritt zur Plantage eignete. Außerdem brannte Mary darauf, sich mit der Buchhaltung ihres Vaters zu beschäftigen, doch wenn die Kontobücher sich nicht bei ihrem Bruder
befanden, lagen sie weggeschlossen in einer Schublade im Arbeitszimmer, zu der Miles den einzigen Schlüssel besaß.
    Obwohl Mary ihren Bruder liebte, begann sie ihn als Hemmschuh bei der Verwirklichung ihrer Hoffnungen und Träume zu betrachten, als jemanden, der den Plänen ihres Vaters und auch der Erinnerung an ihn im Weg stand. Im Haushalt der Tolivers hatten sich zwei Lager herausgebildet; lediglich Sassie stand auf Marys Seite. Alle anderen – die übrigen Bediensteten, ihre Mutter sowie sämtliche Freunde, abgesehen von Ollie, der sich heraushielt – unterstützten Miles. Wenn sie besonders niedergeschlagen war, wünschte Mary sich sogar fast, Miles möge etwas zustoßen, damit er gezwungen wäre, ihr die Leitung der Plantage zu überlassen, oder er möge sich langweilen und merken, dass er sich einfach nicht zum Pflanzer eignete.
    »Geht’s um Mama?«, erkundigte sich Mary und nahm auf einem Stuhl an dem großen Kiefernholzschreibtisch ihres Vaters Platz, den Robert Warwick James Toliver 1865 geschenkt hatte.
    »Nein, um dich«, antwortete Miles in dem pedantischen Tonfall, dessen er sich befleißigte, seit er Herr des Hauses war. Er setzte sich mit professoraler Miene hinter den Schreibtisch, die Ellbogen daraufgestützt, die langen, schlanken Pianistenfinger verschränkt, die französischen Manschetten genauso starr wie sein Habitus. »Mary, dies sind für uns alle sehr heikle Zeiten.«
    Mary nickte. Fast kamen ihr ob seiner Distanziertheit die Tränen.
    »Mit unserer Familie passiert gerade etwas, das die Trauer um unseren Vater übersteigt. Eigentlich sollte der Kummer uns ja näher zusammenrücken lassen. Doch das Testament sorgt dafür, dass Mama und mir nur sehr wenig von Papa
bleibt, weswegen wir verbittert sind und uns betrogen fühlen. Bei Mama kommt noch die gesellschaftliche Kränkung hinzu. Mir ist klar, dass wir beide dir gegenüber nicht gerecht gewesen sind und dir den Eindruck vermittelt haben, alles sei deine Schuld. Das bedauere ich zutiefst, Mary. Allerdings muss ich zugeben, dass ich dir kaum ins Gesicht sehen kann, ohne zu glauben, dass du tatsächlich etwas mit dem Wortlaut des Testaments zu tun hast.«
    »Miles …«
    Er hob die Hand. »Lass mich ausreden. Ich wollte die Plantage weiß Gott nicht, aber von Rechts wegen hätte sie an unsere Mutter gehen sollen, damit sie entscheiden könnte, ob sie sie behalten oder verkaufen will. Sie hätte Papa am wichtigsten sein sollen, nicht Somerset oder du. Dieser Überzeugung sind wir beide. Außerdem haben wir das Gefühl, dass du dich über

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