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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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deinem Vater.«
    Sie spürte, wie er ihr erstaunt den Kopf zuwandte. »Mach ich«, versprach er. »Er soll ihn für mich aufbewahren.«
    Sie fuhren einige Zeit schweigend dahin, und Mary hielt den Blick weiter auf ihre Seite gerichtet. Der Hartriegel war bereits verblüht, doch die Kletterranken der Glyzinie erstrahlten noch in vollem Glanz, und Lavendelblüten ergossen sich über Zäune, Spaliere und Äste. Die Baumwollfelder von Somerset schimmerten in allen Farben der osttexanischen Sonnenuntergänge im Hochsommer.
    Mary konzentrierte sich darauf. Sie hatte alle Menschen verloren, die sie liebte, ihren Großvater und Vater, ihren Bruder und ihre Mutter. Nun blieb ihr nur noch Somerset. Um die Plantage würde sie sich Jahr um Jahr, Ernte um Ernte, kümmern, solange sie lebte. Wie Miles ganz richtig bemerkt hatte: Das Land würde sie nie verlassen. Daran konnten der Baumwollkapselkäfer, Dürrezeiten und Überschwemmungen nichts ändern. Obwohl Hagel in der Lage war, eine wertvolle Ernte binnen kürzester Zeit zu vernichten, wäre das Land danach noch da. Und mit dem Land wäre immer Hoffnung verbunden. Von vielen Menschen konnte man das nicht behaupten.
    »Vermutlich wirst du als Erstes hinaus nach Somerset reiten wollen«, bemerkte Percy. Es klang, als schickte sich ein solcher Ausritt kurz nach der Ankunft nicht.
    »Ja.«
    »Bevor du zu kritisch über Miles’ Führung des Anwesens urteilst, solltest du ein paar Dinge wissen.«
    »Ach.« Sie hob fragend eine Augenbraue. Wie wollte Percy die Misswirtschaft ihres Bruders entschuldigen?
    »Vergiss nicht, dass Miles im Hinblick auf die Plantage das letzte Wort hat, bis du einundzwanzig bist.«
    »Daran brauchst du mich nicht zu erinnern.«
    »Du solltest auch nicht vergessen, dass dein Bruder, wenn
er das möchte, den Charakter der Plantage vollkommen verändern kann.«
    Mary sah ihn schockiert an. »Wie meinst du das?«
    »Man muss das Land nicht unbedingt mit Baumwolle bepflanzen, Gypsy.«
    »Percy, wovon redest du? Was hat Miles vor?«, stieß sie hervor, doch der Wind wehte ihre Worte fort. Erst jetzt merkte sie, dass das offene Verdeck sie zum Brüllen zwang. Verfluchte Automobile!
    »Würdest du mir bitte zuhören, bevor du zu voreiligen Schlüssen über Miles gelangst? Ich sage dir jetzt, was er nicht getan hat, seiner kleinen Schwester zuliebe.«
    »Raus mit der Sprache«, forderte sie ihn, tief Luft holend, auf.
    »Er hätte zustimmen können, dass darauf Zuckerrohr angebaut wird. Ein Pflanzer aus der Nähe von New Orleans hat ihn kurz nach deiner Abreise aufgesucht und ihm ein attraktives Angebot gemacht. Er hat es genauso ausgeschlagen wie das meines Vaters. Dad wollte die Plantage pachten und zehn Jahre lang Bäume darauf pflanzen.«
    Mary verschlug es die Sprache. Schluckend meinte sie: »Dann hätte man das Land nie wieder für den Anbau von Baumwolle nutzen können.«
    »Wäre das denn eine solche Tragödie, Mary?« Percy löste die Hand vom Lenkrad und legte sie auf die ihre. »Die große Zeit der Baumwolle ist vorbei. Immer mehr Leute entscheiden sich für synthetische Gewebe. Andere Länder beginnen allmählich, Texas den Rang als Weltmarktführer streitig zu machen. Und zu allem Überfluss hat der Baumwollkapselkäfer gerade den gesamten Baumwollgürtel im Süden ruiniert.«
    »Percy … Percy … Hör auf damit! Du weißt nicht, was du redest! Mein Gott, in was für ein Chaos kehre ich heim!«
    Percy schwieg, den Blick auf die Straße gerichtet. Nach
einer Weile sagte er mit ruhiger Stimme, ohne Mary anzusehen: »Tut mir leid, Mary, wirklich.«
    »Das sollte es auch. Wie konnte dein Vater nur auf die Idee kommen, die Lage auszunutzen und Miles – dem leichtgläubigen Miles – ein solches Angebot zu unterbreiten! Ich verspreche dir eines, Percy Warwick: Erst müssen Ostern und Weihnachten zusammenfallen, bevor eine Warwick-Kiefer in Toliver-Boden wurzelt!« Sie begann vor Wut zu beben.
    Sie erreichten eine breitere Stelle der Straße, an der Percy den Pierce-Arrow mit quietschenden Reifen an den Rand lenkte. Mary streckte instinktiv die Finger nach dem Griff der Tür aus, um sie zu öffnen, doch Percy packte ihre freie Hand im selben Moment, in dem er sich die Brille von der Nase riss. Mary hatte ihn noch nie zornig erlebt. Ihr fielen die Worte Beatrices ihrer Mutter gegenüber ein: Oft verliert er nicht die Fassung, aber wenn , macht er einem Angst. Er presst den Mund zusammen, und seine Augen verlieren die Farbe. Und er hat Bärenkräfte!

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