Die Erben
sie zu setzen.
In der dritten Reihe fiel mein Blick auf einen leeren Platz neben einem Jungen, der sein Zeug sogar extra zur Seite räumte, als ich auf ihn zu ging.
„Hi“, murmelte ich nur, als ich mich setzte und meine Tasche auf den Tisch legte, um sie auszuräumen.
„Hallo, ich bin Ennis“, stellte er sich vor und lächelte schüchtern. Er hatte hellbraune Haare, die ihm ins Gesicht fielen und seine Augen fast verdeckten. Es machte beinahe den Eindruck, als wollte er sich dahinter verstecken.
„Lyn“, erwiderte ich nur, lächelte ebenfalls kurz und sah zu Mr. Collins, der wieder mit dem Unterricht angefangen hatte.
Die ersten beiden Stunden brachte ich ohne größere Zwischenfälle hinter mich und ich auch ohne Belle ziemlich produktiv gewesen, was meine berühmten Listen anging.
Eine Liste hatte ich angelegt mit Leuten, die ich nicht leiden konnte. Ich wollte wissen, ob ich an einer Schickimicki-Schule wie Canterbury mehr finden konnte, als an meiner alten High School. Allein in Spanisch hatten es bereits Kathy Lowenstein und Charles Hastings, der Neffe des Direktors auf meine Liste geschafft, die beiden Helden, die mich nicht neben sich setzen lassen wollten.
Eine zweite Liste war Mr. Collins gewidmet, in der ich jedes Mal ein Kreuz machte, wenn er Kathy oder Charles aufrief, die er scheinbar ähnlich gut leiden konnte wie ich.
Heute war das bereits zwölf Mal der Fall gewesen.
In der vierten Stunde hatte ich Mathematik, ein Fach, das bei mir eindeutig auf dem Index stand. In Canterbury nicht zuletzt deswegen, weil unsere kleine italienische Mathelehrerin Mrs. Castaloni die Boshaftigkeit in Person war. Sie hatte kleine fiese Augen und einen winzigen Mund, um den sie so viele Falten hatte, dass er fast nicht mehr zu sehen war.
Als sie anfing das Newtonsche Näherungsverfahren zu erklären, beschloss ich aufs Klo zu gehen. Den Mist hatte mein Mathelehrer in Danbury schon versucht an mich heranzutragen und war kläglich gescheitert.
Ich hob die Hand und Mrs. Castaloni rief mich auf, offensichtlich in der Hoffnung, ich würde eine Antwort auf ihre Frage geben. Sofern sie überhaupt eine gestellt hatte. Ich hatte aufgehört zuzuhören, als sie nach ihrem ‚Guten Morgen’ das Wort ‚Newtonsche Näherungsverfahren’ in den Mund genommen hatte.
„Ich müsste mal aufs Klo“, berichtete ich ihr und Mrs. Castaloni war die Enttäuschung über den Mangel an Teilnahme an ihrem Unterrichtserlebnis buchstäblich ins Gesicht eingraviert.
„Dann gehen Sie“, blaffte sie mich an, als sie ihren Schock verdaut hatte und wandte sich wieder an die Klasse.
Seit ich denken konnte hatte ich es gehasst auf öffentliche Toiletten zu gehen. Nicht etwa wegen der Hygiene. Gerade an einem Ort wie Canterbury hätte es mich nicht gewundert, wenn die Kloschüsseln nach jeder Benutzung komplett ausgetauscht werden würden.
Es lag vielmehr daran, dass man selten alleine war, während man auf dem Klo saß.
Und das hasste ich.
Ich wollte dabei einfach nur meine Ruhe haben und nicht erfahren, mit wem Justin Timberlake zusammen war oder ob pinker Lidschatten besser zu schwarzen oder weißen Klamotten passte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich pinken Lidschatten zu jeder Art von Kleidung einfach nur idiotisch fand.
Als ich die Toilette gefunden hatte, zog ich langsam die Tür auf und sah hinein.
Keiner da,
dachte ich glücklich und steuerte auf eine der Kabinen auf der linken Seite zu.
Wenn nicht schon die hundert Mal zuvor dann hätte ich spätestens jetzt gemerkt, dass ich nicht mehr auf der Danbury High war.
Die Trennwände der Toiletten waren kaum bemalt und das was man an Schmierereien finden konnte war offensichtlich schon oft versucht worden wegzuwischen und dadurch ganz blass geworden.
Selbst das Schloss war noch intakt und man musste nicht den Fuß gegen die Tür stemmen, damit keiner rein kam.
Ich hatte mich gerade gesetzt, als die Tür aufging und jemand hinein geschlurft kam.
So ein Mist,
dachte ich mürrisch und fluchte lautlos vor mich hin.
Ich hörte die Tür der Nachbarkabine auf und wieder zu gehen, dann raschelten Kleider und ich hob mir die Ohren zu, in der Hoffnung mir so vorspielen zu können, dass ich alleine war.
Es brachte jedoch nicht den gewünschten Erfolg
Krampfhaft versuchte ich an etwas anderes zu denken, bis mir irgendwann einfiel, dass ja nicht nur ich wusste, dass noch jemand hier war, sondern auch die andere Person.
Dieser Gedanke machte die ganze Situation nicht wirklich
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