Die Erben
nicht auf den Lehrplänen steht, um uns einen breit gefächerten Überblick geben zu können. Ich finde das gut.“
„Ich auch“, stellte sich Mum auf meine Seite. „Dieser Lehrer wird wissen was er tut und es hat mich bei Thor immer geärgert, dass er nur stur nach Lehrplan unterrichtet wurde. An einer Schule wie Canterbury erwarte ich, dass mein Kind so gut wie möglich aufs College vorbereitet wird.“
Sie sah Dad erwartungsvoll an und mit einem Schulterzucken gab er sich geschlagen.
„Hast du denn schon Freunde gefunden?“, wandte sich mit klebend süßer Stimme Fiona an mich, nachdem das Thema Literatur, bei dem sie denkbar wenig beisteuern konnte, beendet war. Sie und Thor aßen praktisch jeden Abend mit uns. Ich wage anzunehmen, dass sie beim Kochen nicht so gut war wie beim Nägel lackieren.
„Natürlich“, gab ich aufgeregt zur Antwort. „Nach nur einem Tag Schule habe ich bereits mit zehn Leuten Blutsbrüderschaft geschlossen und sogar einen Freund gefunden. Wir wollen am Wochenende in Vegas heiraten.“
Thor knallte seine Gaben auf den Tisch und funkelte mich an. „Lyn, ich weiß nicht, wie oft ich dich noch höflich bitten kann Fiona gegenüber fair zu bleiben, bevor ich ausraste.“
Ich senkte den Kopf und schaufle schweigend die Lasagne in meinen Mund.
Thor hatte Recht. Irgendwo tief in mir wusste ich das. Aber über dieser Einsicht war einfach viel zu viel Abneigung und Antipathie gestapelt. Vielleicht sogar ein bisschen Hass. Fiona war so unendlich dämlich, oberflächlich und die Personifizierung von allem, was ich in Menschen furchtbar widerlich fand. Ihre immer perfekt frisierten hellblonden Haare, die tadellos manikürten Fingernägel und dass sie grundsätzlich immer die passende Handtasche zu ihren Schuhen trug, selbst wenn sie morgens Brötchen holte.
Und da war noch etwas, auch wenn ich wusste, wie bescheuert es war. Trotzdem ging es mir ständig im Kopf herum, besonders jetzt, nachdem Thor mir überdeutlich gezeigt hatte, dass seine Geduld bald am Ende war.
Noch Stunden nach dem denkbar schweigsamen Essen, als ich wieder in meinem Zimmer war, dachte ich darüber nach, während ich Kafkas Kopf streichelte.
Vor ein paar Wochen hatte ich zum ersten Mal davon geträumt, dass Fiona meinen Bruder mit einem seiner Freunde betrog.
Vollkommen sicher war ich nicht, aber diese Bilder hatten sich dermaßen in mein Hirn eingebrannt, dass ich überzeugt war, diesen Traum beinahe jede Nacht zu träumen. Und jedes Mal wachte ich danach mit diesem Geschwür im Bauch auf, dieser Wut auf Fiona und der Überzeugung, dass sie nicht nur unendlich hohl, sondern auch untreu war.
Trotzdem konnte ich nicht wirklich daran glauben, schließlich war Thor das Beste, was sich eine Frau wie Fiona als Freund vorstellen konnte. Vielleicht war er sogar ein toller Freund für jede Art von Frau.
Er behandelte seine Freundinnen immer wie kleine Prinzessinnen, holte sie von zu Hause ab, lud sie in schöne Restaurants ein und ging sogar mit ihnen auf Konzerte von dämlichen Popsängerinnen, wenn sie das wollten, obwohl er selbst viel lieber die Foo Fighters oder Audioslave hörte.
Fiona musste schon sehr dämlich sein, würde sie meinen Bruder betrügen.
Trotzdem blieb dieses Gefühl.
„Aufstehen Lyn“, flötete Mum am Morgen meines zweiten Schultages, als ich gerade zum vierten Mal den Snoozeknopf meines Weckers drücken wollte.
„Is’ noch so früh“, murmelte ich und bewegte meinen Mund nicht mehr als notwendig.
„Morgenstund’ hat Gold im Mund“, erwiderte sie nur und ich hörte ihre Schritte näher kommen.
„Morgenstund’ hat Mundgeruch und jetzt lass mich schlafen“, maulte ich und zog mir das Kissen über den Kopf, doch Mum riss es mir gleich wieder weg, damit ich auch ja mitbekam, wie sie meinen Rollladen hochriss.
„Ah, verdammt ist das hell“, jaulte ich auf und hielt mir die Hand vor mein Gesicht.
„Jetzt stell dich nicht so an“, lachte sie und ging wieder zur Tür. „Das Frühstück steht noch auf dem Esstisch, wenn du etwas essen magst.“
„Ja, danke“, murmelte ich und stand gezwungenermaßen auf. Müde und schlapp wie ich nach dem Aufwachen grundsätzlich war schleppte ich mich ins Bad, wo ich mich erstmal vollkommen regungslos unter die Dusche stellte und hoffte, etwas menschlicher zu werden.
Allerdings stellte sich das als ähnlich großer Flop heraus, wie die zahllosen Schauspielversuche von Madonna. Selbst eine dreiviertel Stunde und vier Tassen Kaffee später
Weitere Kostenlose Bücher