Die Erben
geschlafen, versuchte ich mich selbst zu überzeugen. Vielleicht hast du dir nur versehentlich auf die Nase geschlagen.
Als ich zwei Stunden später mit Joe in der Boutique stand, in der Ava ihren Traumpullover gefunden hatte, war mein wahrscheinlich gar nicht so geheimnisvolles Nasenbluten bereits vergessen und selbst meine Kopfschmerzen waren weg.
„Weißt du, in welcher Farbe sie den wollte?“, fragte mich Joe verzweifelt und legte die verschiedenen Ausführungen vor sich hin. „Ich finde Gelb würde Ava gut stehen. Mit den rotbraunen Haaren sieht das bestimmt toll aus.“
„Grün ist die Komplementärfarbe von Rot“, meinte ich unbeeindruckt und Joe starrte mich etwas entgeistert an. Dann hellte sich sein Gesicht etwas auf.
„Sie liebt Kunst und Farben, dieser Komplementär-Quatsch klingt toll, also nehm ich Grün“, meinte er glücklich und legte die anderen Pullover unbeholfen wieder zurück.
„Wenigstens hast du einen gutdurchdachten Grund“, murmelte ich belustigt und sah mich im Laden um.
Ich fragte mich, wie Ava in diesen Laden gekommen war. Hier hingen nur überteuerte Fummel, die zu allem Überfluss auch noch totlangweilig aussahen. Spießig traf es ganz gut. Vermutlich war es der bevorzugte Laden einer Sarah van der Veer, aber Ava, die selbst zu ihrer Schuluniform immer ein anderes Halstuch trug und in ihrer Freizeit irgendwie nach einem Neuzeithippie aussah, konnte ich mir in diesem Laden einfach nicht vorstellen.
Mein Blick blieb am Fenster hängen und ich runzelte die Stirn.
Fiona ging an der Boutique vorbei.
Ich ging zum Fenster rüber, um ihr nachzusehen. Sie lief schnell und sah immer wieder auf ihr Handy.
Normalerweise hätte mich Vakuum-Birne nicht interessiert, doch als Joe mich abgeholt hatte, war mein Bruder zu uns nach Hause gekommen und hatte erwähnt, dass er das Wochenende bei uns bleiben würde, da Fiona zu ihren Eltern gefahren sei.
„Ich bin gleich wieder da“, meinte ich zu Joe, der verzweifelt versuchte, die Größe von Ava abzuschätzen, nachdem er sich auf eine Farbe geeinigt hatte und bevor er antworten konnte war ich aus der Tür gehuscht.
Als ich die Straße hinunterlief kam ich mir vor wie ein Volltrottel. Vermutlich war Fiona einfach früher von ihren Eltern zurück gekommen oder noch nicht einmal losgefahren und das einzig Merkwürdige an dieser Sache war ich, die wie ein verkappter Detektiv einer harmlosen Frau hinterher hechtete, um sie vermutlich höchstens dabei zu beobachten, dass sie ihr Kaugummi auf den Boden spuckte.
Doch ich erinnerte mich auch an das Gespräch mit Gran vor zwei Wochen am Stand, als sie sagte, ich solle diesem Traum von Fiona nachgehen.
Fiona bog ab und ich sah vorsichtig um die Ecke, bevor ich ihr nach ging. Die Straße führte von der Stadtmitte weg und es waren weniger Leute unterwegs, weswegen ich hoffte, dass Fiona nicht nochmal abbog, da es kaum Möglichkeiten gab, sich hinter jemandem zu verstecken.
Doch sie hatte keinen langen Weg mehr.
Nur wenige Meter von mir entfernt stand ein silberner Volvo und Fiona blieb daneben stehen und lehnte sich hinunter und winkte in das Auto hinein.
Ich keuchte und es begann in meinem Kopf zu pochen.
Jemand ließ das Fenster runter und Fiona streckte lächelnd ihren Kopf hinein. Dann zog sie ihn wieder zurück und der Fahrer stieg aus, um ihr sie zu begrüßen.
Mein Magen machte einen schmerzhaften Sprung, als er Fiona auf den Mund küsste.
Er hob ihr die Tür auf und als er wieder auf die Fahrerseite seines Wagens ging, hatte ich das Gefühl Galle spucken zu müssen. Erst jetzt bemerkte ich die grasgrüne Jacke, die der Kerl trug.
Mechanisch drehte ich mich weg und lehnte mich gegen die Hauswand, die Hand auf den Bauch gepresst, in der Hoffnung, nicht losspucken zu müssen.
Wochenlang hatte ich von dieser Situation geträumt.
Es war bereits wie eine Szene in einem Filme, den ich schon dreißig Mal gesehen hatte und jede Einzelheit kannte.
Aber es waren verdammt nochmal nur Träume gewesen, brüllte ich innerlich.
Mein Atem ging rasselnd und stockend, als ich den Volvo davon fahren sah, von dem ich mittlerweile sogar das Nummernschild auswendig wusste.
In meinem Kopf drehte sich alles und mir wurde ein wenig schwindelig.
Ein Hund bellte und ich ballte die Hände zu Fäusten, als ich mich zwang auf die andere Straßenseite zu sehen.
Es war ein kleiner Chihuahua, genau wie in meinem Traum.
Die ganze Szene vor mir begann wie in Zeitlupe zu laufen.
Der Hund zog an seiner
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