Die Erbin
als wären sie nette Menschen, die Lettie wirklich mochten und nur nach der Wahrheit suchten. Sie wollten, dass Lettie sie schätzte, dass sie ihnen vertraute, damit sie beim Prozess vielleicht unvorsichtig wurde. »Das sind zwei Wölfe«, warnte er Lettie. »Und im Prozess springen sie Ihnen an die Kehle.«
»Jake, ich werde doch nicht acht Stunden im Zeugenstand sein«, sagte sie völlig erschöpft.
»Das schaffen Sie schon.«
Lettie hatte da ihre Zweifel.
Am nächsten Morgen machte Zack Zeitler mit einer Reihe bohrender Fragen über Mr. Hubbards letzte Tage weiter. Er stieß auf eine Goldader, als er fragte: »Haben Sie ihn am Samstag, dem 1. Oktober, gesehen?«
Jake wappnete sich für das, was jetzt kam. Er wusste es schon seit ein paar Tagen, aber es gab keine Möglichkeit, der Sache aus dem Weg zu gehen. Wahrheit blieb Wahrheit.
»Ja, das habe ich«, antwortete Lettie.
»Sagten Sie nicht, Sie würden samstags nie arbeiten?«
»Das ist richtig, aber Mr. Hubbard bat mich, an dem Samstag zu kommen.«
»Und warum?«
»Er wollte mit mir zusammen zu seinem Büro fahren, damit ich es putze. Der Mann, der das sonst immer machte, war krank, und es war schmutzig.« Auf die Anwesenden hatte Letties Antwort eine weitaus effektivere Wirkung als der Kaffee. Die Anwälte öffneten die Augen, drückten den Rücken durch und rutschten nach vorn auf die Stuhlkante, während vielsagende Blicke ausgetauscht wurden.
Zeitler hatte Blut gerochen. »Um wie viel Uhr sind Sie zu Mr. Hubbards Haus gekommen?«, hakte er vorsichtig nach.
»Gegen neun Uhr.«
»Und was hat er gesagt?«
»Er sagte, dass er mit mir zu seinem Büro fahren wolle. Also sind wir in den Wagen gestiegen und zu seinem Büro gefahren.«
»In welchem Wagen?«
»In seinem. Dem Cadillac.«
»Wer ist gefahren?«
»Ich. Mr. Hubbard fragte mich, ob ich schon einmal mit einem neuen Cadillac gefahren sei. Ich sagte Nein. Ich hatte vor her eine Bemerkung darüber gemacht, wie schön das Auto sei, daher fragte er mich, ob ich es nicht fahren wolle. Zuerst habe ich Nein gesagt, aber er drückte mir einfach die Schlüssel in die Hand. Deshalb bin ich dann gefahren. Ich war sehr nervös.«
»Sie haben ihn gefahren?«, wiederholte Zeitler. Rund um den Tisch hatten sich sämtliche Köpfe gesenkt, da die Anwälte hektisch Notizen machten und in Gedanken schon alle möglichen Szenarien durchgingen. Bei der vielleicht berühmtesten Testamentsanfechtung in der Geschichte des Bundesstaates Mississippi hatte der Begünstigte, der kein Blutsverwandter war, den Sterbenden zu einer Anwaltskanzlei gefahren, wo dieser ein Testament unterschrieb, in dem die Familie leer ausging und der Fahrer zum Alleinerben bestimmt wurde. Der Oberste Gerichtshof erklärte das Testament für ungültig, mit der Begründung der unzulässigen Beeinflussung des Erblassers, und nannte als wesentlichen Grund die Tatsache, dass der »Überraschungsbegünstigte« an der Entstehung des neuen Testaments beteiligt gewesen sei. Seit dieser Gerichtsentscheidung vor dreißig Jahren war es für einen Anwalt nichts Ungewöhnliches, »Wer hat ihn oder sie gefahren?« zu fragen, wenn unvermutet ein Testament auftauchte.
»Ja«, sagte sie. Jake beobachtete die anderen acht Anwälte, die genau so reagierten, wie er es erwartet hatte. Für sie war es ein schönes Geschenk, für ihn ein Hindernis, das er aus dem Weg räumen musste.
Zeitler schob ein paar Notizen hin und her. »Wie lange waren Sie in seinem Büro?«
»Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber ich würde sagen, zwei Stunden.«
»Wer war sonst noch da?«
»Niemand. Er sagte, dass samstags normalerweise nicht gearbeitet wurde, zumindest nicht im Büro.«
»Verstehe.« In der nächsten Stunde nahm Zeitler den besagten Samstagmorgen auseinander. Er bat Lettie, eine Zeichnung des Bürogebäudes anzufertigen, um herauszufinden, wo sie ge putzt hatte und wo Mr. Hubbard gewesen war. Sie sagte, er habe das Büro zu keiner Zeit verlassen, die Tür sei geschlossen gewesen. Nein, sie sei nicht hineingegangen, nicht einmal, um zu putzen. Sie wisse nicht, woran er gearbeitet oder was er in seinem Büro gemacht habe. Er sei wie jeden Tag mit seinem Aktenkoffer gekommen und damit auch wieder gegangen, aber sie habe keine Ahnung, was in dem Aktenkoffer gewesen sei. Er schien bei klarem Verstand gewesen zu sein, hätte sicher auch fahren können, wenn er gewollt hätte. Sie wisse nicht viel über die Schmerzmittel, die er genommen habe. Ja, er sei schwach und
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