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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Zahn gefühlt hatte, war mehr als deutlich, dass Herschel Hubbard ein durch und durch uninteressanter Mensch war und eine problema tische, distanzierte Beziehung zu seinem Vater gepflegt hatte. Er wohnte bei seiner Mutter, kämpfte immer noch mit den Folgen der hässlichen Scheidung und lebte mit sechsundvierzig Jahren mehr schlecht als recht von den Mieteinkünften einiger Studentenwohnungen. Herschel brauchte ganz dringend eine Erbschaft.
    Genau wie Ramona, mit deren Aussage am Donnerstagmorgen um neun Uhr begonnen wurde. Inzwischen hatten die Anwälte alle schlechte Laune und waren den Fall leid. Fünf Tage nacheinander mit Zeugenaussagen zu verbringen war selten, aber nicht beispiellos. In einer Pause erzählte Wade Lanier, wie er einmal bei einem Fall in New Orleans, in dem es um ein Öltankerunglück gegangen war, zehn Tage nacheinander ein Dutzend Zeugen befragt hatte. Die Zeugen stammten alle aus Venezuela, die meisten sprachen kein Englisch, und die Dol metscher waren nicht die besten. Die Anwälte gingen jeden Abend auf Sauftour und saßen am nächsten Tag mit einem dicken Brummschädel im Gerichtssaal. Als die Tortur zu Ende war, mussten zwei von ihnen eine Entziehungskur machen.
    Niemand hatte mehr Anekdoten im Repertoire als Wade Lanier. Er war der Älteste von ihnen und konnte auf dreißig Jahre Erfahrung im Gerichtssaal zurückblicken. Je länger Jake ihm zuhörte, desto mehr respektierte er ihn. Vor einer Jury würde er ein schwerer Gegner sein.
    Ramona erwies sich als genauso langweilig wie ihr Bruder. Die Aussagen der beiden machten allmählich deutlich, dass Seth Hubbard ein gleichgültiger Vater gewesen war, dem seine Kinder einfach nur lästig gewesen waren. Im Nachhinein und mit der Aussicht auf viel Geld versuchten sie nun tapfer, den alten Herrn als liebevollen Vater und die Familie als glücklich und eng verbunden darzustellen, aber Seth ließ sich nicht neu erfinden. Jake stocherte und wühlte und stellte ihr hin und wieder eine Falle, aber er lächelte stets dabei und versuchte, sie nicht zu beleidigen. Da sie und Herschel so wenig Zeit mit ihrem Vater verbracht hatten, würden ihre Aussagen im Prozess nicht von entscheidender Bedeutung sein. Sie waren in den Tagen vor seinem Tod nicht bei ihm gewesen und konnten daher auch nichts zu seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit sagen. Sie wussten nicht aus erster Hand, ob das Verhältnis zu Lettie tatsächlich so eng gewesen war wie angedeutet.
    Das war nur der Anfang gewesen. Jake und die anderen Anwälte wussten, dass Lettie, Herschel, Ramona und Ian Dafoe aller Wahrscheinlichkeit nach noch einmal aussagen mussten. Waren die Fakten klarer und die Sachverhalte enger definiert, würden die Anwälte weitere Fragen haben.

23
    Als Jake am späten Donnerstagnachmittag das Gerichtsgebäude verließ, wurde er von Stillman Rush aufgehalten, der fragte, ob er Zeit für einen kleinen Drink habe. Was eigenartig war, da die beiden bis auf den Hubbard-Fall keine Gemeinsamkeiten hat ten. Sicher, meinte Jake, warum nicht? Stillman wollte mit Sicherheit etwas Wichtiges bereden, ansonsten würde er seine Zeit nicht mit einem kleinen Anwalt wie Jake verschwenden.
    Sie trafen sich in einer Bar im Keller eines alten Gebäudes, das in einer Seitenstraße des Clanton Square lag und zu Fuß zu erreichen war. Draußen war bereits die Dunkelheit hereingebrochen, Nebel zog auf. Es war ein düsterer, trüber Abend und die perfekte Uhrzeit für einen Drink. Jake ging zwar nicht häufig in Bars, aber diese kannte er. Sie war spärlich beleuchtet und feucht, mit schummrigen Ecken und Sitznischen, und erweckte den Eindruck, als würden hier zweifelhafte Geschäfte abgewickelt werden. Bobby Carl Leach, der bekannteste Gauner der Stadt, hatte einen eigenen Tisch neben dem Kamin, an dem er häufig mit Politikern und Bankern gesehen wurde. Harry Rex Vonner war Stammgast.
    Jake und Stillman bekamen eine Sitznische, bestellten Bier vom Fass und fingen an abzuschalten. Nachdem sie vier Tage lang an ein und demselben Tisch sitzend endlosen, kaum brauch baren Zeugenaussagen zugehört hatten, waren sie wie betäubt vor Langeweile. Stillmans angeborene Überheblichkeit schien zu verschwinden, und er war Jake fast sympathisch. Als der Kellner ihre Biere auf den Tisch stellte, beugte Stillman sich vor und sagte: »Ich habe da eine Idee, nur meine persönliche Meinung, ohne dass ich von jemand anderem dazu ermächtigt wurde. Bei dem Verfahren geht es um einen Haufen Geld, das wissen wir

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