Die Erbin
waren. Clapp fuhr sein Auto auf die andere Seite des Platzes, parkte und ging hinten herum zur Kanzlei. Um ein Uhr morgens öffnete Erby die Hintertür, und Clapp betrat das Gebäude. »In jedem Raum stehen Aktenschränke. Es sieht so aus, als würden die Akten, die gerade in Gebrauch sind, in den Büros der Anwälte stehen. Einige sind auch bei den Sekretärinnen.«
»Was ist in den beiden Räumen?«, fragte Clapp.
»Die Akten reichen etwa fünf Jahre zurück. Einige enthalten abgeschlossene Mandate, einige nicht. Ich suche noch. Mit dem zweiten Raum bin ich noch nicht fertig. Es gibt einen gro ßen Keller mit alten Möbeln, ausrangierten Schreibmaschinen, juristischen Fachbüchern und noch mehr Akten, alle mit abgeschlossenen Mandaten.«
Im zweiten Raum fanden sie nichts von Interesse. Die Akten waren das typische Sammelsurium aus abgeschlossenen Mandaten, das man in jeder Kleinstadtkanzlei fand. Um 2.30 Uhr stieg Erby vorsichtig die ausziehbare Treppe hoch nach oben und verschwand auf dem Dachboden. Clapp schob sie hinter ihm zusammen und ging in den Keller. Der Dachboden hatte keine Fenster, war stockfinster und auf beiden Seiten mit Archiv boxen aus Karton vollgestellt, von denen jeweils vier ordentlich übereinandergestapelt waren. Da Erby von draußen nicht gesehen werden konnte, schaltete er seine Taschenlampe heller und richtete den Strahl auf die Kartons. Jeder war mit einem dicken schwarzen Filzstift markiert: »Immobilien 1. 1. 7 6 – 1. 8. 77«, »Straf prozesse 1. 3. 8 1 – 1. 7. 81« und so weiter. Erleichtert stellte er fest, dass die Akten zwölf Jahre zurückreichten, war aber frustriert, als er keine Unterlagen fand, die etwas mit Testamenten und Nachlässen zu tun hatten.
Sie mussten im Keller sein. Nachdem Clapp eine halbe Stunde dort herumgesucht hatte, fand er in einem Stapel mit Archiv boxen, die genauso aussahen wie die auf dem Dachboden, einen Karton mit der Aufschrift »197 9 – 80«. Er zog ihn aus dem Stapel heraus, öffnete ihn vorsichtig und begann, durch Dutzende von Akten zu blättern. Irene Pickerings Akte war mit dem Datum August 1980 versehen. Sie war sechs Zentimeter dick und enthielt Hal Freemans komplette Anwaltsarbeit von dem Tag an, an dem er das zweiseitige Testament aufgesetzt hatte, das von der alten Dame an Ort und Stelle unterschrieben worden war, bis hin zu der Schlussverfügung, mit der Fritz Pickering von seinen Aufgaben als Testamentsvollstrecker entbunden wurde. Das erste Dokument in der Akte war ein altes Testament, das von dem Anwalt in Lake Village aufgesetzt worden. Das zweite war ein handschriftliches Testament. Clapp las es laut und langsam, da die zittrige Handschrift an manchen Stellen kaum zu entziffern war. Der vierte Absatz sah eine Zuwendung in Höhe von fünfzigtausend Dollar für eine gewisse Lettie Lang vor.
»Volltreffer«, murmelte er. Er legte die Akte auf einen Tisch, drückte den Deckel auf den Karton und stellte ihn vorsichtig an seinen Platz zurück. Dann ging er auf dem gleichen Weg hinaus, den er gekommen war, und verließ den Keller. Mit den Unterlagen in seinem Aktenkoffer trat er in die dunkle Gasse auf der Rückseite des Gebäudes und meldete sich nach ein paar Minuten über Funk bei Erby. Erby schlich ebenfalls hinten hinaus und blieb nur kurz stehen, um die Tür wieder zu verriegeln. Soweit sie wussten, hatten sie nichts durcheinandergebracht und keine Spuren hinterlassen. Die Büros mussten sowieso einmal gründlich geputzt werden, und ein bisschen Schmutz von einem Schuh oder ein Abdruck im Staub würde keine Aufmerksamkeit erregen.
Sie fuhren zweieinhalb Stunden nach Jackson, wo sie sich noch vor sechs Uhr morgens mit Wade Lanier in dessen Büro trafen. Lanier stand seit dreißig Jahren im Gerichtssaal, aber er konnte sich an kein besseres Beispiel für einen unwiderlegbaren Beweis erinnern. Die Frage war nur: Was sollten sie jetzt damit machen?
Fat Benny’s lag am Ende des asphaltierten Teils einer Landstraße; danach bestand die Fahrbahn aus Schotter. Portia war in Box Hill aufgewachsen, einem finsteren, abgelegenen Ort zwischen einem Sumpf und einem Bergrücken, in dessen Nähe nur wenige Weiße lebten. Aber im Vergleich zu dem bedrohlich wirkenden Provinznest Prairietown im hintersten Teil von Noxubee County, keine fünfzehn Kilometer von der Grenze zu Alabama entfernt, ging es in Box Hill zu wie am Times Square. Wenn sie weiß gewesen wäre, hätte sie nie im Leben hier angehalten. Vor dem Gebäude standen zwei
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