Die Erbin
sagte, es sei wichtig, alle früheren Testamente sicher wegzuschließen, weil es manchmal vorkomme, dass sie wieder auftauchten und Probleme verursachten.«
»Können Sie sich an den Namen des Anwalts in Oxford erinnern?«
»Hal Freeman, ein älterer Herr, der inzwischen nicht mehr praktiziert. Als meine Schwester vor fünf Jahren gestorben ist, war ich der Testamentsvollstrecker. Da war Freeman schon längst im Ruhestand. Den Nachlass hat dann sein Sohn ab gewickelt.«
»Haben Sie und der Sohn jemals über das handschriftliche Testament gesprochen?«
»Ich glaube nicht. Eigentlich hatte ich sehr wenig Kontakt mit ihm. Ich versuche, Anwälten aus dem Weg zu gehen, Mr. Clapp. Ich hatte ein paar unerfreuliche Erlebnisse mit ihnen.«
Clapp war schlau genug, um zu wissen, dass er auf Dynamit gestoßen war, und erfahren genug, um zu wissen, dass es an der Zeit war, sich zurückzuhalten. Lass es langsam angehen, erzähl Wade Lanier alles, und dann soll der Anwalt bestimmen, was geschieht. Pickering fing an, sich nach Clapps Gründen für sein Interesse an Lettie zu erkundigen, traf aber auf eine Mauer aus vagen Ausflüchten. Sie beendeten das Mittagessen und verabschiedeten sich.
Wade Lanier hörte sich das Band mit der üblichen grimmi gen Miene und zusammengepressten Lippen an. Doch Lester Chilcott, sein Kollege, konnte seine Begeisterung kaum zügeln. Nachdem sie Clapp aus Laniers Büro hinauskomplimentiert hatten, rieb sich Chilcott die Hände. »Das war’s dann wohl!«, sagte er. Wade lächelte endlich.
Schritt eins: kein weiterer Kontakt mit Pickering. Seine Mutter und seine Schwester waren tot, daher war er der Einzige, der möglicherweise zu dem handschriftlichen Testament aussagen konnte, bis auf Hal Freeman vielleicht. Zwei schnelle Telefonanrufe nach Oxford bestätigten, dass Freeman im Ruhestand und noch am Leben war und dass seine Kanzlei von den beiden Söhnen, Todd und Hank, übernommen worden war. Pickering mussten sie fürs Erste ignorieren. Keinerlei Kontakt zwischen Laniers Kanzlei und Pickering, da es zu einem späteren Zeitpunkt wichtig sein würde, dass Pickering aussagte, nie mit den Anwälten gesprochen zu haben.
Schritt zwei: Das handschriftliche Testament musste gefunden werden, um jeden Preis. Falls es existierte, musste es beschafft werden. Und wenn möglich, ohne dass Hal Freeman etwas davon bemerkte. Es musste gefunden werden, bevor Jake oder jemand anders Wind davon bekam.
Schritt drei: Das Ganze musste erst einmal unter den Teppich gekehrt werden, damit sie es später verwenden konnten. Irene Pickerings handschriftliches Testament ließ sich am effek tivsten und aufsehenerregendsten während des Prozesses ein setzen, wenn Lettie Lang im Zeugenstand war und bestritt, von dem Testament gewusst zu haben. Dann konnten sie es hervorholen. Sie konnten sie zur Lügnerin machen. Und den Ge schworenen beweisen, dass sie ihre gebrechlichen, wehrlosen Arbeitgeber bereits mehrfach mit List und Heimtücke dazu gebracht hatte, sie in einem handschriftlichen Testament zu bedenken.
Eine solche Strategie war mit zahlreichen Risiken verbun den. Der größte Hemmschuh waren natürlich die Regeln für die Offenlegung vor dem Prozess. Jake hatte die Anwälte der anfechtenden Parteien schriftlich dazu aufgefordert, die Namen aller potenziellen Zeugen anzugeben. Lanier und die anderen Anwälte hatten das Gleiche getan; in Zeiten der vollständigen Offenlegung, wo alles möglichst transparent sein sollte, war das so üblich. Einen Zeugen wie Fritz Pickering zu verstecken verstieß nicht nur gegen die Berufsethik, sondern war auch gefährlich. Versuche, während der Verhandlung ein weißes Ka ninchen aus dem Hut zu ziehen, gingen häufig daneben. Lanier und Chilcott brauchten Zeit, um Mittel und Wege zu finden, mit denen sie die Regeln für die Offenlegung umgehen konnten. Es gab zwar Ausnahmen, trotzdem würde es eine Gratwanderung sein.
Genauso mühsam war es, Irene Pickerings handschriftliches Testament zu finden. Es war durchaus möglich, dass es zusammen mit tausend anderen nutzlosen Akten im Archiv der Freemans vernichtet worden war. Aber Anwälte bewahrten Altakten in der Regel länger als zehn Jahre auf, daher bestand eine gute Chance, dass das Testament noch irgendwo lag.
Pickering zu ignorieren war ebenfalls problematisch. Was, wenn er von einem anderen Anwalt ausfindig gemacht wurde, der ihm die gleichen Fragen stellte? Wenn dieser andere Anwalt zufällig Jake war, ging für Lanier das
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