Die Erbin
schlurfte hinüber, während er sich nervös umsah, als wollte ihn jemand von hinten erschießen. Arthur Welch stand neben ihm, schaffte es aber irgendwie, Abstand zu halten.
»Sie sind Simeon Lang?«, fragte Richter Bullard.
Simeon nickte.
»Machen Sie den Mund auf!«
»Ja, das bin ich.«
»Danke. Und Sie sind?«
»Euer Ehren, mein Name ist Arthur Welch, ich bin Anwalt drüben in Clarksdale. Ich vertrete Mr. Lang.«
Richter Bullard sah ihn an, als wollte er sagen: »Wozu eigentlich?« Stattdessen fragte er Simeon: »Mr. Lang, ist Mr. Welch Ihr Anwalt?«
»Ja, das ist er.«
»Gut. Mr. Lang, Sie sind der fahrlässigen Tötung im Straßen verkehr in zwei Fällen und des Fahrens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss in einem Fall angeklagt. Schuldig oder nicht schuldig?«
»Nicht schuldig.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Ich setze den Termin für die Voruntersuchung in etwa dreißig Tagen an. Mr. Welch, Sie erhalten diesbezüglich Nachricht von mir. Ich nehme an, Sie wollen über eine Kaution sprechen.«
»Ja, Euer Ehren, wir würden gern eine Kaution in angemessener Höhe beantragen«, sagte Welch, als würde er aus einem Drehbuch vorlesen. »Mr. Lang hat Frau und Familie hier im County und sein ganzes Leben lang hier gelebt. Es besteht keine Fluchtgefahr, und er hat mir versichert und wird auch Ihnen versichern, dass er stets vor Gericht erscheinen wird, wenn er dazu aufgefordert wird.«
»Danke. Die Kaution wird hiermit auf zwei Millionen Dollar festgesetzt, eine Million für jeden Fall von fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr. Sonst noch etwas, Mr. Welch?«
»Nein, Euer Ehren.«
»Sehr schön. Mr. Lang, Sie werden zur Untersuchungshaft an den Sheriff von Ford County überstellt, bis Sie Kaution leisten oder von diesem Gericht zum Erscheinen aufgefordert werden.« Richter Bullard ließ den Hammer niedersausen und blinzelte Welch zu. Simeon wurden wieder Handschellen angelegt, dann brachte man ihn aus dem Gerichtssaal, und Welch folgte ihm. Draußen, am Hinterausgang, genau dort, wo die Ange klagten in Kriminalfällen immer fotografiert wurden, wenn sie berichtenswert genug waren, um fotografiert zu werden, stand Dumas Lee und machte jede Mengen Aufnahmen von Lang und dessen Anwalt. Später unterhielt er sich mit Welch, der wenig zu berichten hatte, aber trotzdem sehr gewillt war zu reden. Er machte nur vage Andeutungen darüber, warum er einen Fall übernahm, für den er zwei Stunden hatte fahren müssen.
An diesem Morgen war Welch um fünf Uhr durch einen mit Schimpfwörtern gespickten Telefonanruf von Harry Rex Vonner, seinem Zimmergenossen während des Jurastudiums, aus dem Bett geholt worden. Welch hatte Harry Rex bei zwei von dessen Scheidungen vertreten, und Harry Rex hatte Welch bei zwei von dessen Scheidungen vertreten. Die beiden schuldeten einander so viele Gefallen und so viel Geld, dass sie inzwischen den Überblick verloren hatten. Harry Rex brauchte ihn ganz dringend in Clanton, also setzte sich Welch ins Auto, fuhr los und fluchte zwei Stunden lang auf dem Weg dorthin. Er hatte nicht vor, Simeon Lang über die Anklageerhebung hinaus zu vertreten und wollte den Fall in einem Monat oder so wieder loswerden.
Wie Harry Rex ihm mit überaus anschaulichen und durch weg beleidigenden Ausdrücken erklärt hatte, sollten die Einwoh ner Clantons sehen, dass Simeon Lang nicht von Jake Brigance vertreten wurde, sondern von irgendeinem Drecksack, von dem sie noch nie etwas gehört hatten.
Welch wusste, was gespielt wurde. Dies war wieder einmal ein Beispiel für das, was man im Jurastudium nicht lernte.
Es war früher Freitagnachmittag, kalt und feucht, und Jake durchlitt das wöchentliche Ritual, Liegengebliebenes zu erledigen, damit es nicht anfing, zu wachsen und zu gären, und ihm den Montag ruinierte. Eine seiner vielen ungeschriebenen, doch eisernen Regeln besagte, dass er jeden Telefonanruf bis Freitagmittag beantwortet haben musste. Am liebsten hätte er die meisten gar nicht erst angenommen, was allerdings unmög lich war. Es war so einfach, Rückrufe aufzuschieben. Häufig wurden sie von einem Arbeitstag zum nächsten mitgeschleppt, doch Jake war fest entschlossen, sie nicht übers Wochenende liegen zu lassen.
Eine andere Regel verbot ihm, undankbare Fälle anzuneh men, die ihm wenig oder überhaupt nichts einbrachten und unweigerlich dazu führten, dass er seine unausstehlichen Mandanten am liebsten erwürgt hätte. Aber wie jeder andere Anwalt sagte er regelmäßig Ja zu
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