Die Erbin
sehr viel. Lettie ist eine gute Christin, die entsetzt ist über das, was ihr Mann getan hat. Wären Sie so nett, sich in unserem Namen bei ihr zu bedanken?«
»Natürlich.«
Jeff starrte wieder auf seine Knie, legte die Fingerspitzen aneinander und atmete langsam ein und aus, als wäre selbst das schmerzhaft. »Jake, da ist noch etwas, was Sie ihnen ausrichten sollen, etwas, was Sie bitte an Lettie und ihre Familie weitergeben, auch an ihren Mann«, sagte er dann.
Sicher. Alles. Für einen derart vom Schicksal geschlagenen Vater würde Jake alles tun.
»Jake, sind Sie Christ?«
»Ja. Manchmal vielleicht kein guter, aber ich gebe mir Mühe.«
»Das dachte ich mir. In Lukas, Kapitel sechs, lehrt uns Jesus, wie wichtig Vergebung ist. Er weiß, dass wir alle menschlich sind und von Natur aus dazu neigen, auf Rache zu sinnen, zurückzuschlagen, jene zu verdammen, die uns etwas angetan haben, aber das ist falsch. Wir sollen vergeben, immer. Und deshalb möchte ich, dass Sie Lettie und ihrer Familie und vor allem ihrem Mann sagen, dass Evelyn und ich Simeon das, was er getan hat, vergeben. Wir haben darüber gebetet. Wir haben mit unserem Pastor darüber gesprochen. Und wir können nicht zulassen, dass der Rest unseres Lebens von Hass und Feindseligkeit bestimmt wird. Wir vergeben ihm. Könnten Sie ihnen das bitte sagen?«
Jake war so überwältigt, dass er nicht antworten konnte. Ihm war bewusst, dass seine Kinnlade ein Stück heruntergeklappt war, dass sein Mund offen stand und er Jeff Roston ungläubig anstarrte, aber es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich wieder in der Gewalt hatte. Wie um alles in der Welt konnte man einem Säufer verzeihen, der einem vor nicht einmal zweiundsiebzig Stunden die beiden Söhne über den Haufen gefahren hatte? Er musste an Hanna denken, an das beinahe unfassbare Bild von ihr in einem Sarg. Er würde nach blutiger Rache schreien.
Schließlich brachte er ein Nicken zustande. Ja, ich werde es ihnen sagen.
»Wenn wir Kyle und Bo morgen beerdigen, wenn wir uns von ihnen verabschieden, werden wir das voller Liebe und Vergebung tun. Für Hass ist da kein Platz«, sagte Roston.
Jake schluckte schwer. »Das Mädchen draußen am Empfang ist Letties Tochter. Simeons Tochter. Sie arbeitet für mich. Warum sagen Sie es nicht ihr?«
Ohne ein Wort stand Jeff Roston auf und ging zur Tür. Er öffnete sie, ging mit Jake im Gefolge zum Empfang und sah Portia an. »Sie sind also Simeon Langs Tochter«, sagte er.
Portia wäre fast zusammengezuckt. Sie stand auf und starrte ihn an. »Ja, Sir«, erwiderte sie.
»Ihre Mutter hat mir einen sehr schönen Brief geschickt. Bitte sagen Sie ihr Danke von mir.«
»Das werde ich«, erwiderte sie nervös.
»Und sagen Sie Ihrem Vater bitte, dass Evelyn, meine Frau, und ich ihm das, was er getan hat, vergeben.«
Portia schlug die rechte Hand vor den Mund. Tränen stiegen ihr in die Augen. Jeff trat zu ihr und umarmte sie kurz. Dann wich er plötzlich zurück, sagte noch einmal: »Wir vergeben ihm«, und verließ ohne ein weiteres Wort die Kanzlei.
Noch lange nachdem er gegangen war, starrten sie auf die Eingangstür. Sie waren sprachlos. Fassungslos. »Wir schließen jetzt ab und gehen heim«, sagte Jake schließlich.
31
Am späten Sonntagmorgen erlitten die Bemühungen, Seth Hubbards handschriftliches Testament für rechtsgültig erklären zu lassen, einen weiteren Rückschlag, was Jake und die Antrag steller allerdings nicht wussten. Randall Clapp schnüffelte in Dillwyn herum, einer Kleinstadt im tiefsten Süden von Georgia, knapp zehn Kilometer von der Staatsgrenze zu Florida entfernt, wo er schließlich eine Schwarze fand, deren Spur er seit einer Woche verfolgte. Sie hieß Julina Kidd und war neununddreißig, geschieden, Mutter von zwei Kindern.
Vor fünf Jahren hatte Julina in einer großen Möbelfabrik in der Nähe von Thomasville, Georgia, gearbeitet. Sie war in der Lohnbuchhaltung angestellt, verdiente fünfzehntausend Dollar im Jahr und war überrascht, als sie eines Tages erfuhr, dass die Firma von einem gesichtslosen Unternehmen mit Sitz in Alabama gekauft worden war. Kurze Zeit später kam der neue Besitzer, ein Mr. Hubbard, vorbei, um seine Mitarbeiter kennenzulernen.
Einen Monat später wurde Julina entlassen. Eine Woche danach reichte sie bei der Gleichstellungsbehörde Klage wegen sexueller Belästigung ein. Drei Wochen nachdem die Klage eingereicht worden war, wurde sie abgewiesen. Ihr Anwalt in Valdosta wollte mit Clapp nicht
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