Die Erbin
über den Fall sprechen, er sagte, er habe den Kontakt zu Julina verloren und keine Ahnung, wo sie sei.
Als Clapp sie fand, wohnte sie mit ihren beiden Kindern im Teenageralter und einer jüngeren Schwester zusammen in einer Sozialwohnung und arbeitete in Teilzeit für einen Ölgroßhändler. Zuerst hatte sie nur wenig Interesse daran, mit einem Weißen zu reden, den sie nicht kannte. Clapp machte so etwas jedoch beruflich und war sehr geschickt darin, Informationen zu beschaffen. Er bot ihr zweihundert Dollar in bar, plus Mittagessen, für eine Stunde Zeit und Antworten auf seine Fragen. Sie trafen sich in einer Fernfahrerkneipe und bestellten das Tages gericht, Grillhähnchen. Clapp, ein verkappter Rassist, dem es nie im Leben einfallen würde, etwas mit einer Schwarzen anzu fangen, musste sich Mühe geben, um seine Gedanken unter Kontrolle zu behalten. Die Frau war eine Wucht: wunderschöne dunkle Haut mit einem Schuss Milch, haselnussbraune Augen, deren Blick einen bis ins Herz traf, hohe afrikanische Wangen knochen, perfekte Zähne, die von einem unbefangenen, verfüh rerischen Lächeln begleitet wurden. Sie war reserviert und zog ständig die Augenbrauen hoch, als würde sie jedem Wort, das aus seinem Mund kam, misstrauen.
Clapp erzählte ihr nicht viel, jedenfalls am Anfang. Er sagte, er sei in einen großen Prozess mit Seth Hubbard auf der Gegenseite involviert und wisse, dass etwas zwischen ihr und Hubbard gewesen sei. Ja, er suche nach Schmutz.
Den hatte sie. Seth Hubbard hatte sie angebaggert wie ein achtzehnjähriger Matrose auf Landgang. Damals war sie vierunddreißig und in der letzten Phase einer hässlichen Scheidung gewesen. Sie war mit den Nerven am Ende und machte sich Sorgen über ihre Zukunft. Sie hatte kein Interesse an einem sechsundsechzigjährigen Weißen, der wie ein Aschenbecher stank, egal, wie viele Firmen er besitzen mochte. Aber Hubbard war hart näckig und verbrachte viel Zeit in seiner Fabrik in Thomasville. Er gab ihr eine großzügige Gehaltserhöhung und ließ ihren Schreibtisch in die Nähe seines Büros bringen. Dann feuerte er die alte Sekretärin und ernannte Julina zu seiner »persönlichen Assistentin«. Sie konnte nicht einmal tippen.
Hubbard besaß zwei Möbelfabriken in Mexiko, die er be suchen musste. Er wies Julina an, sich einen Reisepass zu besor gen, und fragte, ob sie ihn begleiten wolle. Sie sah es eher als Befehl denn als Einladung. Aber da sie noch nie das Land ver lassen hatte, reizte sie die Vorstellung, etwas von der Welt zu sehen, obwohl sie wusste, dass sie dafür einen Kompromiss eingehen musste.
»Hubbard dürfte nicht der erste Weiße gewesen sein, der Ihnen nachgestiegen ist«, sagte Clapp.
Sie lächelte kurz und nickte. »Stimmt. Es kommt vor.« Wieder musste Clapp sich anstrengen, seine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Warum war sie immer noch Single? Warum lebte sie in einer Sozialwohnung? Jede Frau mit ihrem Aussehen und ihrer Figur, egal, ob schwarz oder weiß, konnte Kapital dar aus schlagen und sich ein sehr viel besseres Leben verschaffen.
Ihre erste Reise in einem Flugzeug ging nach Mexico City. Sie stiegen in einem Luxushotel ab, zwei nebeneinanderliegende Zimmer. Das gefürchtete Klopfen an der Verbindungstür kam gleich am ersten Abend, und sie öffnete. Hinterher, als sie mit ihm zusammen im Bett lag, ekelte sie sich vor dem, was sie getan hatte. Sex gegen Geld. In dem Moment fühlte sie sich wie eine Prostituierte. Doch sie hielt den Mund, und sobald er am nächsten Tag das Hotel verließ, nahm sie sich ein Taxi zum Flughafen. Als er eine Woche später wiederkam, feuerte er sie auf der Stelle und ließ sie von einem bewaffneten Sicherheitsbeamten aus dem Büro führen. Sie ging zu einem Anwalt, der Klage wegen sexueller Belästigung gegen Hubbard einreichte, dessen eigener Anwalt entsetzt über die Fakten war. Die Gegenseite kapitulierte sehr schnell und wollte sich außergerichtlich einigen. Nach etwas Hin und Her stimmte Hubbard der Zahlung einer Pauschalsumme von einhundertfünfundzwanzigtausend Dollar im Rahmen einer vertraulichen Vereinbarung zu. Ihr Anwalt behielt fünfundzwanzigtausend Dollar für sich, und sie lebte vom Rest. Eigentlich durfte sie niemandem etwas davon verraten, aber das war ihr egal. Es war fünf Jahre her.
»Machen Sie sich keine Gedanken. Hubbard ist tot«, klärte Clapp sie auf. Dann erzählte er ihr den Rest der Geschichte. Julina hörte zu, während sie auf dem zähen Hähnchen herumkaute und es
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