Die Erbin
der Einfahrt parkte und nachts die Hintertür überprüfte, was der Familie ein Gefühl von Sicherheit gab. Die Rostons hatten sich derart zurückhaltend und besonnen verhalten, dass die erhitzten Gemüter sich wieder abgekühlt hatten, zumindest fürs Erste.
Doch falls Simeon der Meinung war, er müsse es zu einem Prozess kommen lassen, würde sich der ganze Albtraum wiederholen. Portia, Lettie und der Rest der Familie machten sich Sorgen wegen der Möglichkeit eines Prozesses und hatten Angst davor, der Familie Roston im Gerichtssaal gegenüberstehen zu müssen. Jake bezweifelte, dass es so weit kommen würde, und falls doch, würde es noch mindestens ein Jahr bis dahin dauern.
Seit drei Monaten drängte er Lettie, sich eine Arbeit zu suchen, irgendeine, Hauptsache, eine Arbeit. Beim Prozess sollten die Geschworenen wissen, dass sie berufstätig war und ver suchte, ihre Familie zu unterstützen, und sich nicht mit siebenundvierzig zur Ruhe gesetzt hatte, weil sie mit einem Geldregen rechnete. Allerdings wollte sie kein Weißer als Haushälterin einstellen, nicht bei ihrer Vorgeschichte und dem vielen Gerede. Für die Fast-Food-Restaurants war sie zu alt, für Büroarbeiten zu schwarz.
»Momma hat einen Job«, verkündete Portia stolz.
»Großartig. Wo?«
»Bei den Methodisten. Sie wird dreimal in der Woche die Vor schule der Kirchengemeinde putzen. Mindestlohn, aber das ist alles, was sie zurzeit bekommen kann.«
»Ist sie glücklich?«
»Jake, sie hat vor zwei Tagen die Scheidung eingereicht, und ihr Nachname ist Gift in der Gegend. Sie hat einen Sohn im Gefängnis, das Haus voll mit arbeitsscheuen Verwandten und eine einundzwanzigjährige Tochter mit zwei ungewollten Kindern. Das Leben meint es gerade nicht eben gut mit meiner Mom. Und ein Job für dreieinhalb Dollar die Stunde wird ihr vermutlich kein großes Glücksgefühl bescheren.«
»Tut mir leid, dass ich gefragt habe.«
Sie saßen auf seinem Balkon, draußen, wo die Luft frisch, aber nicht zu kalt war. Jake schwirrten unzählige Dinge durch den Kopf, und er hatte schon mindestens zwei Liter Kaffee intus.
»Können Sie sich noch an Charley Pardue erinnern, meinen sogenannten Cousin aus Chicago?«, fragte sie. »Sie haben ihn vor zwei Monaten bei Claude’s getroffen.«
»Ja, sicher. Sie haben ihn einen Gauner genannt, der sich Geld für ein Bestattungsinstitut erschleichen will.«
»Genau. Wir haben miteinander telefoniert, und er hat noch einen Verwandten drüben in der Nähe von Birmingham gefunden. Ein alter Mann in einem Pflegeheim, Nachname Rinds. Er glaubt, dieser Mann könnte die Verbindung sein.«
»Aber Pardue ist auf Geld aus, oder irre ich mich da?«
»Sie sind alle auf Geld aus. Jedenfalls bin ich am Überlegen, ob ich nicht am Samstag hinfahren soll, um dem alten Mann ein paar Fragen zu stellen.«
»Ist er ein Rinds?«
»Ja. Boaz Rinds.«
»Okay. Haben Sie mit Lucien gesprochen?«
»Habe ich, und er glaubt, es ist die Mühe wert.«
»Samstag ist Ihr freier Tag. Sie brauchen mich nicht zu fragen.«
»Ich wollte es Ihnen nur sagen. Und, Jake, da ist noch was. Lucien hat mir erzählt, dass das County einige der histori schen Gerichtsdokumente in Burley, der alten Schwarzenschule, lagert.«
»Ja, das stimmt. Ich bin einmal dort gewesen, weil ich nach einer alten Akte gesucht habe, die aber nicht aufzufinden war. Das County lagert eine Menge altes Zeug dort.«
»Wie weit reichen die Aufzeichnungen zurück?«
Jake musste kurz nachdenken. Von drinnen hörte er sein Telefon klingeln. »Das Grundstücksregister ist immer noch im Gericht untergebracht, weil es benutzt wird«, sagte er schließlich. »Aber eine Menge von dem Zeug in der Schule ist prak tisch wertlos. Heirats- und Scheidungsregister, Geburts- und Ster be register, Gerichtsverfahren, Urteile und so weiter. Das meiste müsste eigentlich aussortiert werden, aber jeder scheut sich, Gerichtsunterlagen zu vernichten, selbst wenn sie hundert Jahre alt sind. Ich habe gehört, dass es Gerichtsprotokolle gibt, die aus dem Bürgerkrieg stammen, alle mit der Hand geschrie ben. Interessant, aber heute nur noch von geringem Wert. Schade, dass das Feuer nicht alles zerstört hat.«
»Wann war das Feuer?«
»Jedes Gericht brennt irgendwann mal. Unseres wurde 1948 schwer beschädigt. Dabei sind eine Menge Dokumente verloren gegangen.«
»Kann ich mich durch die alten Akten wühlen?«
»Warum? Das ist Zeitverschwendung.«
»Weil ich eine Schwäche für Rechtsgeschichte habe. Ich
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