Die Erbin
das Geplauder für ein paar Sekunden, während er sich einen Platz suchte und einige Leute begrüßte. Der Prozess begann in zwei Tagen, und Dell zufolge wurden die Gespräche der Gäste morgens von Gerüchten und zahllosen Meinungen zu dem Fall beherrscht. In dem Moment, in dem Jake hereinkam, wurde das Thema gewechselt. Sobald er gegangen war, hatte man den Eindruck, als würde jemand einen Schalter umlegen, und Seths Testament stand wieder im Mittelpunkt. Obwohl Dells Gäste alle weiß waren, schienen sie sich in mehrere Lager zu teilen. Manche vertraten den Standpunkt, dass ein Mann, der noch bei klarem Verstand sei, sein Eigentum nach Belieben vererben könne, ohne Rücksicht auf die Familie. Andere wandten ein, dass er nicht mehr bei klarem Verstand gewesen sei. Lettie hatte viele Kritiker. Man hielt sie für eine Frau mit einem lockeren Lebenswandel, die den armen alten Seth ausgenutzt habe.
Jake kam mindestens einmal die Woche vorbei, wenn der Coffee Shop leer war, und bekam ausführliche Informationen von Dell. Von besonderem Interesse für ihn war ein Stammgast namens Tug Whitehurst, der als amtlicher Fleischkontrolleur arbeitete. Sein Bruder stand auf der Juryliste, doch Dell war sicher, dass Tug das mit keinem Wort erwähnt hatte. Er sei kein Schwätzer, aber bei einer Unterhaltung mit Kerry Hull habe er Hull zugestimmt, als dieser erklärte, es gehe niemanden etwas an, wem er sein Hab und Gut vermache. Hull sei ständig pleite und hoch verschuldet, und alle wüssten, dass es bei ihm nichts zu erben gebe, aber seine Bemerkung sei unkommentiert geblieben. Jedenfalls war Dell der Meinung, dass Tug Whitehurst als Geschworener für Jake infrage kam, aber was sein Bruder denke, wisse sie natürlich nicht.
In dieser Phase des Verfahrens war Jake jede Information über die ausgewählten Siebenundneunzig willkommen.
Er setzte sich an einen Tisch mit zwei Farmern und wartete auf seinen Maisbrei und den Toast. Das Gespräch drehte sich vor allem um Barsche, ein Thema, zu dem er wenig beitragen konnte. Seit drei Jahren tobte in gewissen Kreisen eine heftige Diskussion darüber, ob die Forellenbarschpopulation im Lake Chatulla ab- oder zunahm. Die jeweilige Meinung wurde laut und energisch vertreten, und ein Kompromiss schien nicht infrage zu kommen. Es gab jede Menge Experten. Immer wenn die meisten davon überzeugt waren, dass die Population im See zurückging, fing jemand einen kapitalen dicken Barsch, und die Diskussion ging wieder von vorn los. Jake konnte es nicht mehr hören, aber jetzt war er dankbar dafür. Die Barsche sorgten dafür, dass der Hubbard-Fall nicht im Mittelpunkt stand.
Während er aß, fragte Andy Furr: »Jake, geht der Prozess nach wie vor am Montag los?«
»Ja.«
»Dann besteht also nicht die Chance, dass er verschoben wird oder sich sonst wie verzögert?«
»Nein, das glaube ich nicht. Die potenziellen Geschworenen werden um neun im Gerichtssaal sein, und kurz danach dürften wir anfangen. Werden Sie kommen?«
»Nein, ich muss arbeiten. Gehen Sie davon aus, dass eine Menge Zuschauer kommen?«
»Man weiß nie. Zivilprozesse sind in der Regel ziemlich langweilig. Am Anfang werden wir vielleicht ein paar Zuschauer ha ben, aber ich vermute, die werden schnell wieder verschwinden.«
Dell kam an den Tisch, um ihm Kaffee nachzuschenken. »Der Gerichtssaal wird aus allen Nähten platzen, und das wissen Sie auch. So viel Aufregung hat es hier seit dem Hailey-Prozess nicht mehr gegeben«, sagte sie.
»Oh, den Fall habe ich ganz vergessen«, erwiderte Jake, was ihm ein paar Lacher einbrachte.
Bill West sagte, er habe gehört, das FBI habe gerade die Büros von zwei hochrangigen Polizeibeamten unten in Polk County durchsucht, einer bekanntermaßen korrupten Gegend, was von fast allen Gästen mit Ausnahme von Jake und Dell lautstark kommentiert wurde. Es sorgte auch dafür, dass das Thema gewechselt wurde, wofür Jake dankbar war. Ihm stand ein langes Wochenende in der Kanzlei bevor, und Frühstück war jetzt alles, was er wollte.
Als Portia gegen neun Uhr in die Kanzlei kam, tranken sie erst einmal Kaffee auf dem Balkon vor seinem Büro, während um sie herum die Stadt zum Leben erwachte. Sie berichtete, dass sie mit Lettie zusammen gefrühstückt habe, die nervös, sogar unruhig sei und fürchterliche Angst vor dem Prozess habe. Lettie war müde und ausgelaugt von dem Stress, in einem mit Verwandten vollgestopften Haus zu leben, während sie gleichzeitig versuchte, in Teilzeit zu arbeiten
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