Die Erbin
und die Tatsache zu vergessen, dass ihr Mann im Gefängnis saß, weil er zwei Jungen getötet hatte. Dazu kamen die bevorstehende Scheidung und die Testamentsanfechtung, die ihr an die Nieren ging. Kein Wunder, dass sie nur noch ein nervöses Wrack war.
Portia gab zu, ebenfalls müde zu sein. Sie machte Überstunden in der Kanzlei und schlief wenig. Jake hatte Verständnis, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Bei Prozessen waren Achtzehnstundentage und durchgearbeitete Wochenenden häufig etwas ganz Normales, und wenn Portia es ernst damit meinte, Anwältin werden zu wollen, war es gut, dass sie den Druck einmal miterlebte. In den letzten zwei Wochen hatten sie sich gegenseitig dazu angetrieben, alle siebenundneunzig Namen auf der Geschworenenliste auswendig zu lernen. Wenn Jake »R« sagte, antwortete Portia: »Sechs. Rady, Rakestraw, Reece, Riley, Robbins und Robard.« Wenn Portia »W« sagte, antwortete Jake: »Drei. Wampler, Whitehurst, Whitten.« So ging es den ganzen Tag, hin und her, immer wieder.
In Mississippi war die Geschworenenauswahl in der Regel an höchstens einem Tag vorbei. Jake wunderte sich immer über Prozesse in anderen Bundesstaaten, wo es zwei Wochen oder einen Monat dauerte, um eine Jury zusammenzustellen. Ein solches System konnte er sich nicht vorstellen; die Richter in Mississippi auch nicht. Sie meinten es ernst mit der Zusammenstellung fairer und unparteiischer Jurys, wollten nur keine Zeit verschwenden.
Ein hohes Tempo würde äußerst wichtig sein. Schnelle Entscheidungen waren gefordert. Auf beiden Seiten würden die Anwälte nicht viel Zeit haben, um über Namen nachzudenken oder in ihren Unterlagen nach Informationen zu suchen. Es war unerlässlich, dass sie die Namen auswendig wussten und sofort ein Gesicht damit verbanden. Jake war fest entschlossen, jeden einzelnen Geschworenen mit Namen zu kennen, außer dem Alter, Adresse, Beruf, Schulbildung, Kirchengemeinde. Alles, was sie bekommen konnten.
Als die siebenundneunzig Namen im Gedächtnis aller verankert waren, bekam Portia die Aufgabe, sich durch die alten Akten des Gerichts zu wühlen. Sie verbrachte Stunden damit, in Urkunden und im Grundstücksregister nach Transaktionen der letzten zehn Jahre zu suchen. Sie stöberte in Prozesslisten, suchte nach Klägern und Beklagten, Gewinnern und Verlierern. Von den siebenundneunzig potenziellen Geschworenen hatten sich sechzehn in den letzten zehn Jahren scheiden lassen. Sie war sich nicht so sicher, was das mit einem Prozess zu tun haben könnte, in dem es um die Anfechtung eines Testaments ging, aber sie suchte trotzdem nach Informationen darüber. Einer der Geschworenen, ein gewisser Eli Rady, hatte vier Prozesse an gestrengt und alle verloren. Als sie sich die Gläubigerverzeichnisse ansah, stellte sie fest, dass es Dutzende von Ansprüchen wegen unbezahlter Steuern, unbezahlter Lieferungen, unbezahl ter Handwerkerrechnungen gab. Einige ihrer potenziellen Geschworenen schuldeten dem County Geld, weil sie ihre Grund steuer nicht bezahlt hatten. Bei der Steuerbehörde wühlte sie sich durch die Grundsteuerbescheide und erstellte eine Liste, in der Marke und Baujahr der Autos im Besitz der Geschworenen aufgeführt wurden. Es gab eine Menge Pick-ups, was keine Überraschung war.
Die Arbeit war mühsam und häufig todlangweilig, aber Portia wurde nicht langsamer, dachte nie daran aufzugeben. Nachdem sie zwei Wochen mit diesen Leuten gelebt hatte, war sie überzeugt davon, sie zu kennen.
Nach der Kaffeepause machten sie sich ohne rechte Begeisterung wieder an die Arbeit. Jake begann, in groben Zügen sein Eröffnungsplädoyer zu umreißen. Portia ging wieder in den Konferenzraum zu ihren siebenundneunzig neuen Freunden.
Um zehn kam Harry Rex, der eine Riesentüte mit fettigen Wurstbrötchen von Claude’s mitbrachte. Er drückte Jake eines in die Hand, bestand darauf, dass er es nicht wieder weglegte, und schob ihm dann einen Umschlag hin. »Das ist ein Scheck von deiner Versicherung, Land Fire and Casualty, alles Be trüger, also kauf nie wieder eine Police von denen, verstanden? Einhundertfünfunddreißigtausend Dollar. Voller Ausgleich. Und davon geht kein einziger Cent für das Anwaltshonorar ab, daher bist du mir jetzt einen Riesengefallen schuldig.«
»Danke. Und da dein Stundensatz so niedrig ist, solltest du dich jetzt endlich an die Arbeit machen.«
»Jake, ich habe wirklich genug von diesem Fall. Am Montag helfe ich dir noch, die Jury zusammenzustellen, dann bin ich
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