Die Erbin
Schwarz gegen Weiß sein? Ich habe diesen Leuten ins Gesicht gesehen, und sie kommen mir nicht vor wie hartgesottene Rassisten, die das Testament verbrennen und der Gegenseite alles nachwerfen. Da waren ein paar vernünftige Leute dabei.«
»Und auch ein paar unvernünftige«, sagte Harry Rex.
»Ich finde, Portia hat recht. Aber es ist ein langer Weg, bis die endgültige Wahl getroffen ist. Dann können wir uns immer noch streiten.«
Nach der Unterbrechung durften sich die Anwälte an die andere Seite ihrer Tische setzen, sodass sie die Kandidaten fixieren konnten, die die Anwälte ihrerseits ins Visier nahmen. Richter Atlee nahm formlos am Richtertisch Platz, ohne dass sich die Anwesenden hätten erheben müssen, und begann mit einer knappen Zusammenfassung der Sache. Er gehe davon aus, dass das Auswahlverfahren mindestens drei bis vier Tage dauern werde, bis Freitagnachmittag wolle er es spätestens abschließen. Er stellte alle Anwälte vor, nicht jedoch deren Assistenten. Jake stand ganz allein einer Armee gegenüber.
Richter Atlee erklärte, zunächst werde er selbst einige notwendige Punkte klären, dann sei es an den Anwälten, Fragen zu stellen und nachzuhaken. Er begann mit der Gesundheit: War irgendjemand krank, musste sich in Behandlung begeben oder war nicht in der Lage, längere Zeit zu sitzen und zuzuhören? Eine Dame erhob sich und sagte, ihr Mann liege in Tupelo im Krankenhaus und sie müsse zu ihm.
»Sie sind entlassen«, sagte Richter Atlee mit aufrichtigem Mitgefühl, und sie eilte aus dem Saal. Nummer neunundzwanzig war damit entfallen. Nummer vierzig hatte einen Bandscheibenvorfall, der über das Wochenende akut geworden war, und behauptete, unter heftigen Schmerzen zu leiden. Er nehme Schmerzmittel und sei deswegen benommen.
»Sie sind entlassen«, sagte Richter Atlee.
Er war offenbar bereit, jeden mit einem echten Anliegen zu entschuldigen, aber mehr auch nicht. Als er nach beruflichen Konflikten fragte, stand ein Herr in Jackett und Krawatte auf und erklärte, er könne es sich schlicht nicht leisten, im Büro zu fehlen. Er war Bezirksleiter einer Firma für Stahlbauwerke und hielt sich offenkundig als Manager für unersetzbar. Er deutete sogar an, er könnte seinen Posten verlieren.
Richter Atlee belehrte ihn fünf Minuten lang über Bürgerpflichten und wies ihn damit in seine Schranken. Er schloss mit den Worten: »Falls Sie Ihre Arbeit verlieren, Mr. Crawford, wenden Sie sich an mich. Dann lade ich Ihren Chef vor und rede hier im Gericht ein ernstes Wörtchen mit ihm.«
Zerknirscht und gedemütigt setzte sich Mr. Crawford. Niemand sonst versuchte, sich aus beruflichen Gründen vom Geschworenendienst befreien zu lassen. Richter Atlee ging zum nächsten Punkt seiner Checkliste über: frühere Einsätze als Geschworene. Mehrere Kandidaten meldeten sich, drei waren an einzelstaatlichen Gerichten, zwei an Bundesgerichten als Geschworene tätig gewesen. Sie waren davon überzeugt, dass diese Erfahrung ihre Entscheidungsfähigkeit in der vorliegenden Sache nicht beeinflussen werde.
Neun Personen kannten Jake Brigance. Vier waren frühere Mandanten und wurden entlassen. Zwei Damen gehörten zur selben Kirchengemeinde, waren aber der Meinung, dass sich das nicht auf ihre Urteilsfähigkeit auswirken werde. Sie wurden nicht entlassen. Eine entfernte Verwandte schon. Carlas Lehrerkollegin erklärte, sie kenne Jake gut und stehe ihm zu nah, um objektiv zu sein. Sie wurde entlassen. Zuletzt kam ein Highschool-Freund aus Karaway, der angab, Jake seit zehn Jahren nicht gesehen zu haben. Er verblieb vorerst in der Auswahl.
Dann wurden die anderen Anwälte noch einmal vorgestellt, um die letzten Fragen zu prüfen. Niemand kannte Wade Lanier, Lester Chilcott, Zack Zeitler oder Joe Bradley Hunt, aber sie stammten ja auch nicht aus der Stadt.
»Dann kommen wir zum nächsten Punkt«, sagte Richter Atlee. »Das fragliche Testament wurde von einem Mann namens Seth Hubbard verfasst, der inzwischen bekanntermaßen verstor ben ist. Kannte ihn jemand von Ihnen persönlich?«
Zwei Hände hoben sich schüchtern. Ein Mann stand auf und sagte, er sei in der Gegend von Palmyra im County aufgewachsen und habe Seth gekannt, als sie beide deutlich jünger waren.
»Wie alt sind Sie?«, fragte Richter Atlee.
»Neunundsechzig.«
»Sie wissen, dass Sie sich vom Geschworenendienst befreien lassen können, wenn Sie über fünfundsechzig sind?«
»Ja, Euer Ehren, aber ich muss nicht, oder?«
»O nein. Wenn Sie
Weitere Kostenlose Bücher